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Kultur: Die einzige Zeugin

Wettbewerb: „Svjedoci“ – Vinko Bresans komplexe Auseinandersetzung mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg

Von Susanna Nieder

Man soll nie eine Situation nach dem ersten Augenschein beurteilen, schon gar nicht im Krieg. Wenn man sich die Sache genauer ansieht, kann sich eine leidende Witwe und Soldatenmutter als blinde Fanatikerin entpuppen, eine lästige Fragenstellerin über Leben und Tod entscheiden, eine Katastrophe von nichts als einem dummen Jungenstreich ausgelöst worden sein.

„Svjedoci" (Die Zeugen) spielt während des serbisch-kroatischen Krieges Anfang der Neunzigerjahre. In einem kroatischen Städtchen wird ein serbischer Spekulant erschossen. Regisseur Vinko Bresan zeigt uns zwar die drei Täter, gibt aber nicht deren Motiv preis. Bald wird klar: Die Sache ist schief gegangen, es gibt einen Zeugen, zwar gefangen, aber lebendig. Innerhalb eines Tages müssen sich die Attentäter entscheiden, was mit dieser Person – oder mit dem „Problem“, wie einer es nennt – geschehen soll. Die Sache wird für den Zuschauer immer brisanter, denn bald schimmert ein weiterer Verdacht auf: Der Zeuge ist ein kleines Mädchen.

Während die Geschichte ihrem logischen Ende zustrebt, wird Stückchen um Stückchen rekonstruiert, was wirklich passiert ist an diesem Abend. Immer wieder werden dieselben Situationen aufgegriffen, vom Standpunkt einer anderen Person aus weiterentwickelt und durch Rückblenden erhellt. Die Erzählweise ist halsbrecherisch komplex und nicht ganz gefeit gegen Längen. Dass „Svjedoci“ trotzdem ein eindrucksvoller Film ist, liegt vor allem an der mikroskopisch genauen Beobachtung der Figuren. Wie sorgfältig inszenierte Fotografien wirken die Bilder (Kamera: Zivko Zalar), fast mit der Expressivität des Stummfilmkinos agieren die Darsteller. Pathetisch wird es trotzdem nicht.

Vinko Bresans Film erzählt von der Schwierigkeit, im Krieg ein Mensch zu bleiben. Schäbig ist dieser Krieg zwischen abgeblätterten Bauernhäusern, schäbig und furchterregend. Wenn alle das Maschinengewehr im Anschlag haben, muss man kein schlechter Mensch sein, um dabei die Kontrolle zu verlieren. Es genügt, ein unreifer großer Junge zu sein.

In Friedenszeiten würde so einer nicht allzu viel Schaden anrichten, im Krieg wird er hingegen zum Mörder. Fast keiner kann sich diesem mörderischen Mechanismus des Krieges entziehen. So ist nicht nur das kleine Mädchen eine Zeugin. Zeugen sind alle, ob sie den Krieg nun wollten oder nicht. Der Held der Geschichte – in der allerletzten Einstellung wird er mit pathetischet Geste als solcher inszeniert – ist derjenige, der die Nerven hat, anständig zu bleiben. Doch auch er wird für den Rest seines Lebens ein Krüppel sein.

Heute 9.30 Uhr (Royal Palast), 20 Uhr (International) und 23.45 Uhr (Royal Palast)

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