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Kultur: Die Erde tanzt

Mit einem solchen Start hat die Musikbiennale eines ganz sicher schon gewonnen: das Interesse eines größeren Publikums.Für das Philharmonische Orchester kann dieses intern natürlich nicht unumstrittene reine Neue-Musik-Projekt nur als ein Glücksfall gesehen werden: Mit dem Dirigenten Peter Eötvös, hier zum ersten Mal als unbestechlicher Zeitgeber am Pult, sollten sich Perspektiven für weitere interessante Vorhaben ergeben.

Mit einem solchen Start hat die Musikbiennale eines ganz sicher schon gewonnen: das Interesse eines größeren Publikums.Für das Philharmonische Orchester kann dieses intern natürlich nicht unumstrittene reine Neue-Musik-Projekt nur als ein Glücksfall gesehen werden: Mit dem Dirigenten Peter Eötvös, hier zum ersten Mal als unbestechlicher Zeitgeber am Pult, sollten sich Perspektiven für weitere interessante Vorhaben ergeben.Daß dieses glänzende Eröffnungskonzert sich im übrigen gänzlich jenseits der thematischen Retrospektive zum Komponieren in Deutschland situierte, darf man auch als hoffnungsfrohes Zeichen für die weitere Zukunft des Festivals verstehen.

Das vom Orchesterapparat und von seiner zeitlichen Ausdehnung her umfangreichste Werk des Abends war keine der beiden Uraufführungen, sondern das monumentale Symphonische Präludium der "Earth Dances", die Harrison Birtwhistle 1986 im Zusammenhang mit einer mythologischen "Gaswein"-Oper komponierte.Gut 35 Minuten lang schieben sich in dieser Musik die Zeit- und Klangschichten in vertracktesten rhythmischen Kombinationen übereinander, deren erdige archaische Energie in der Kombination mit choralartigen Melodiefragmenten allerdings in einen nicht gerade unvertrauten kulturellen Code überführt wird - Strawinsky und Ives, Chaos des Urschlamms und der Großstadt treffen hier in einer zeitweise faszinierenden, auf Dauer aber vor allem durch die anhaltend massive Instrumentation auch etwas ermüdenden Weise zusammen.Mit der Aufführung der Partitur, deren rhythmische Schwierigkeiten öfter hörbar blieben, leisteten die Philharmoniker unter Eötvös dennoch Enormes.

Formal schlüssigereren Konzepten begegnete man in den beiden Uraufführungen von Hanspeter Kyburz und Wolfgang Rihm.Rihms Komponieren kulminierte ja Mitte der achtziger Jahre in noch mehr als bei Birtwhistle verschlungenen, den Hörer verschlingenden Gebilden, wie etwa der "Klangbeschreibung".In dem Zyklus "Drei späte Gedichte von Heiner Müller" aber bewegt Rihms Musik (und nicht zum ersten Mal) durch Zurücknahme; in einer bei aller Raffiniertheit unmittelbar nachvollziehbaren Setzung der musikalischen Gedanken und einer Sprache, die, auch, in Verbindung mit der Wortsprache Heiner Müllers in diesen weltabgewandten Texten, eine berührende Sinnlichkeit entwickelt: Evokationen der aus dem Tritt geratenen Zeit, der Spürbarkeit des Unsichtbaren, des Wartens auf einen befreienden Lufthauch, ernst, traurig, nach innen schauend.All dies in einer Harmoniesüchtigkeit und einer innigen Verflechtung von Alt-Stimme und Orchester (Englischhorn), die man "retrospektiv" nur nennen könnte, wenn man vergleichbar andersartige jüngere Werke Rihms nicht kennt.Iris Vermillion, für die Rihm den Zyklus komponierte, sang konzentriert und ergreifend unaffektiert.

Extrovertierter wirkte der Solopart, den Hanspeter Kyburz, 1960 geboren und seit 1997 Kompositionsprofessor an der Eisler-Hochschule, in "à travers" dem Klarinettisten Ernesto Molinari zugeeignet hat.Das ist auch ein Virtuosenstück, aber wie die Ausdrucksmöglichkeiten von Klarinette und Baßklarinette prozeßhaft mit den Entwicklungen zwischen Solisten und Orchester verknüpft sind, das wirkt außerordentlich überzeugend.Bei all ihrer schnellen Beweglichkeit scheint diese Musik doch stets bei sich, verliert ihr Zentrum nicht.Die Zeit, in Rihms Werk in die Weite gedehnt, erscheint hier komprimiert, sie verfliegt in kostbar flüchtigen Augenblicken, vom blendendem Klangschock des Anfangs bis zu einem ganz unsentimental sich in nichts auflösenden Schluß.

MARTIN WILKENING

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