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Wie kann man bei so viel Action auch noch singen? Szene aus der „Fledermaus“ von Johann Strauß.

© thomas.m.jauk/StagePicture

"Die Fledermaus" an der Deutschen Oper: Odyssee im Witzraum

Rolando Villazón inszeniert an der Deutschen Oper „Die Fledermaus“ von Johann Strauß.

Otto Schenks 1973er „Fledermaus“-Inszenierung war eine ganz große Sache im alten West-Berlin. In der Premiere sangen lauter E-Musik-Stars die Operettenrollen, Gundula Janowitz war die Rosalinde, Donald Grobe ihr Ehemann Gabriel von Eisenstein, Brigitte Fassbaender hatte die Hosenrolle des Prinzen Orlowsky übernommen. Und die pompöse, gründerzeitliche Ausstattung machte das Publikum Staunen, vor allem im 2. Akt, wenn der Prinz die Ballgäste einlud, aus der Empfangshalle seiner Villa ins Speisezimmer zu wechseln – und sich von der riesigen Seitenbühne der Deutschen Oper tatsächlich ein komplettes zweites Bühnenbild ins Blickfeld schob.

Bis zum Silvesterabend 1990 wurde die Produktion gespielt, danach sah sich die Deutsche Oper von ihrer Pflicht entbunden, die ganze Bandbreite des Repertoires abzubilden. Denn für die leichte Muse gab es im wiedervereinigten Berlin ja das Metropoltheater. Allerdings nur bis 1997, als der damalige Kultursenator Peter Radunski das Haus hinterhältig abwickelte. Lange sah es dann mau aus mit Operetten in Berlin, 1995 hatte Harry Kupfer zwar an der Komischen Oper eine „Fledermaus“ herausgebracht (mit einem veritablen Fahrstuhl und Countertenor Jochen Kowalski als Orlowski), doch erst sein Nachfolger Andreas Homoki zeigte tieferes Interesse an der Gattung – wobei ihm ausgerechnet seine „Fledermaus“ ziemlich flügellahm geriet.

2007 vergurkte Michael Thalheimer eine Version mit Schauspielern wie Nina Hoss und Ulrich Matthes am Deutschen Theater, und auch die von Zubin Mehta dirigierte 2009er Staatsopern-Poduktion verschwand sehr schnell wieder vom Spielplan. Schon für seine Einstandssaison als Intendant der Deutschen Oper wiederum hatte Udo Zimmermann 2001 Peter Mussbach als „Fledermaus“-Regisseur angekündigt – doch der wurde kurz darauf zu Daniel Barenboims Sparringspartner Unter den Linden, so dass die geplante Produktion ausfiel.

Erst der sensationelle Erfolg von Barrie Koskys Operetten-Revitalisierungsprogramm an der Komischen Oper brachten die Verantwortlichen in der Bismarckstraße jetzt auf die Idee, es nach 28 Jahren Abstinenz mit der Gattung mal wieder zu versuchen. Generalmusikdirektor Donald Runnicles machte die Chose sogar zur Chefsache, für die szenische Seite konnte mit Rolando Villazón ein großer Name des internationalen Klassikbusiness verpflichtet werden.

Entertainer mit Stimmproblemen

Der vielseitig begabte Mexikaner, der als Tenor Weltkarriere gemacht hat, ist ein geborener Entertainer, der auch als leichthändiger Cartoonist, charmanter Moderator sowie ehrenamtlicher Clown überzeugt und sich, getrieben von chronischen Stimmproblemen, gerade eine Karriere als Regisseur aufbaut. An der Deutschen Oper hat er bereits Puccinis einzige Operette „La Rondine“ inszeniert – und dabei gezeigt, dass er keinerlei Scheu vor Kitsch kennt.

Auch seine „Fledermaus“ ist ästhetisch denkbar weit weg von den schrill-schillernden Spektakeln, die Barrie Kosky zu entfesseln weiß. Dessen rasante, rotzfreche Shows knüpfen nahtlos an die goldene Tradition des Großstadtgenres Operette an, das immer ganz vorne mitmischte, wenn es darum ging, lustvoll Geschlechter- und Moralgrenzen zu sprengen, die Spießer zu erschrecken und sich über die Mächtigen lustig zu machen.

Was Rolando Villazón jetzt mit dem Johann-Strauß-Klassiker veranstaltet, fällt eher unter die Rubrik „Klamauk mit Überbau“. Die Geschichte des neureichen Lebemanns Gabriel von Eisenstein, der wegen Beamtenbeleidigung ins Gefängnis soll, stattdessen aber lieber auf einen Ball geht, wo er mit einer maskierten Frau flirtet, die sich als seine eigene Gattin herausstellen wird, erzählt Rolando Villazón als musikalische Boulevardkomödie. Amouröse Ränkespiele gab es schon immer und wird es ewig geben, lautet seine Botschaft. Weshalb Bühnenbildner Johannes Leiacker drei Epochen auf die Drehbühne stellt: einen bürgerlichen Salon aus dem Uraufführungsjahr 1873, eine ranzige Kellerkneipe im Ost-Berlin der Fünfzigerjahre sowie ein ziemlich abgerocktes Raumschiff, das im 3. Akt als extraterrestrisches Zuchthaus dient.

Liberté, Egalité, Decolleté: Als bekennender Brachialkomiker lässt Villazon keinen noch so altbekannten Gag aus, staubt jede Pointe ab, die sich ihm auf dem champagnerseligen Weg zum finalen Katerfrühstück bietet. Als gelernter Tenor aber denkt er auch musikalisch, versucht beispielsweise, einen konkreten szenischen Anlass für jede Koloratur zu erfinden und der eigentlich zweckfreien Verzierung der Gesangslinie dadurch Gehalt zu geben. Dabei verblüfft er mit so manchem fantasievollen Detail.

Ein liebevoller Blick auf Klischeetenor Alfred

Das Castingbüro der Deutschen Oper hat ihn allerdings auch mit einer Truppe versorgt, die begeistert beim Witzniveau-Limbo mitmacht. Annette Dasch, sonst als wagemutige Wagnerheroine gefeiert, erklärt die Rosalinde zur Geistesschwester von Eliza Doolittle, die sich ihr bürgerliches Gehabe gerade erst antrainiert hat und darum über jede Menge Street Credibility verfügt, wenn sie in Orlowskys Kommunistenkneipe das südosteuropäische Flittchen mimt. Den dort mit harter Hand regierenden Genossen Prinz spielt Angela Brower als Transvestit im Armeemantel, Meechot Marrero singt eine kernige, klassenbewusste Kammerzofe Adele, Thomas Blondelle ist als Eisenstein angemessen versnobt, Markus Brück als Gefängnisdirektor Frank virtuos besoffen.

Den liebevollsten Blick wirft Rolando Villazón aber natürlich auf den Klischeetenor des Stücks, den armen Alfred, der doch nur die Abwesenheit von Rosalindes Ehemann für ein Schäferstündchen mit seiner Ex nutzen will und durch einen dummen Zufall an seiner Stelle in der Zelle landet. Sich ins Alter Ego des Regisseurs zu verwandeln, macht Enea Scala sichtlich Spaß: Wie er über die Bühne tänzelt, sich hinter Zimmerpalmen versteckt, die Angebetete zum Wohnzimmerpicknick auf dem Perserteppich verführt und an jeder unmöglichen Stelle schnell noch einen Drei-Tenöre-Hit einstreut, dann wirkt das in der Tat genauso entwaffnend wie beim Original.

Dass der Abend bei aller Ausgelassenheit trotzdem musikalisch Sinn und Form behält, dafür sorgt aus dem Orchestergraben heraus Donald Runnicles. Er nimmt jede Note des Walzerkönigs ernst und hat die Partitur darum mit derselben Akribie einstudiert, die er sonst seriösen Stoffen angedeihen lässt. Festlich und gemessen entfaltet sich die Ouvertüre, ganz ohne falschen Wiener Schmäh. Fein gearbeitet ist hier alles, Runnicles weiß immer genau, warum er das Tempo verzögert oder antreibt, wo er es differenziert und leise haben will oder wo er mehr Lautstärke gestatten kann. Und wenn Rolando Villazón am Ende seine Protagonisten rückwärts durch die Bühnenbild-Epochen zurück ins Anfangsbild schickt, dann macht der Maestro auch diesen Spaß mit und dirigiert dazu das von Stanley Kubrick unsterblich gemachte „Zarathustra“-Thema vom anderen Strauss. Die Liebe bleibt eben eine Odyssee – ob im Blümchentapeten-Salon oder im Weltraum.

Wieder am 1., 5., 8., 29. Mai sowie 3., 8. Juni.

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