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Jury-Präsident Todd Haynes (M) und die anderen Juror:innen Nabil Ayouch, Rodrigo Morena, Maria Schrader, Fan Bingbing, Bina Daigeler und Amy Nicholson (v.l.) beim Foto-Call.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Die Jury der 75. Berlinale: „Der Raum für die Fantasie ist wichtiger denn je“

Maria Schrader, Todd Haynes und die anderen: Die Mitglieder der Bären-Jury stellen sich vor.

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Maria Schrader erntet spontanen Applaus für ihre Antwort auf die Frage, ob sie befürchtet, dass auch diese Berlinale von politischen Eklats überschattet wird, wie das Festival im Vorjahr. „Angst ist kein guter Begleiter“, sagt die Schauspielerin und Regisseurin („Ich bin dein Mensch“), die im ersten Festivaljahr unter Leitung von Tricia Tuttle der Bären-Jury angehört.

„Ich möchte mich nicht fürchten, sondern feiern“, fährt die Emmy-Gewinnerin fort. „Wir können die Räume für die Kultur und Fantasie nicht genug feiern. Sie sind wichtiger denn je, auch als Räume für Fragen, für Kontroversen.“ Sie ist glücklich darüber, dass bei der Berlinale wieder mehrere hunderttausend Zuschauer zusammenkommen, „dass sie aus dem Haus gehen, um sich fesseln zu lassen von Geschichten über das Leben anderer Menschen“. Sie nennt es einen Prozess, der zum Frieden beiträgt, ganz besonders in einer Zeit, die das Schwarz-Weiß-Denken und extreme Ansichten befördern.

Letztes Jahr sei das auf der Berlinale eskaliert. Ohne es explizit zu erwähnen, spielt Schrader auf die viel kritisierte Abschluss-Gala an, bei der sich pro-palästinensische Statements gehäuft hatten.

Tricia Tuttle dürfte die Berliner Filmemacherin aus der Seele sprechen, denn die neue Intendantin ist wild entschlossen, die Aufmerksamkeit weg von der Politik hin zu den Filmen zu lenken. Mit Jury-Präsident Todd Haynes deutet sie beim Fotocall vor den Kameras ein Tänzchen an und verrät am Ende auf Nachfrage bereitwillig, dass ihr erstes deutsches Wort „gemütlich“ gewesen sei.

Die Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader bei der Jury-Pressekonferenz im Hyatt am Potsdamer Platz.

© AFP/ODD ANDERSEN

Zunächst stellt sie jedoch die sieben Juror:innen vor, zu denen außer Haynes und Schrader der chinesische Star Fan Bingbing gehören (die im Konferenzsaal im Hyatt am Potsdamer Platz auf Chinesisch antwortet), die Regisseure Rodrigo Moreno (Argentinien) und Nabil Ayouch (Marokko/Frankreich), die in Spanien lebende deutsche Kostümbildnerin Bina Daigeler und die „L.A. Times“-Kritikerin Amy Nicholson.

Todd Haynes wird dann doch zuerst nach der Politik gefragt, nach Donald Trump. Der Regisseur verleiht seiner Sorge um sein Land Ausdruck, viele Amerikaner stünden unter Schock. „Eben das ist Teil der Strategie, Trump will ein Gefühl der Destabilisierung verbreiten.“ Die Demokraten in den USA seien jetzt dabei, Formen des Widerstands zu entwickeln.

Der Regisseur, der 1991 mit „Poison“ erstmals zu Gast auf der Berlinale war, glaubt, dass viele Trump-Wähler bald desillusioniert sein werden. Spätestens dann, wenn die versprochene Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht eintritt. Wird Trump das amerikanische Filmschaffen verändern? Dahinter steckt für Haynes eine weit größere Frage, die nach der persönlichen Integrität. „Wie bleiben wir bei unseren Überzeugungen, wie schaffen wir es, unsere Stimme zu erheben?“

Sein argentinischer Regiekollege Rodrigo Moreno berichtet ähnliches über sein Land unter Javier Milei. Der sei „ein Verrückter, ein Faschist, der Tag für Tag gegen queere Menschen vorgeht, und genauso gegen Wissenschaftler, Lehrer oder Filmschaffende. Ein Alptraum.“ Den großartigen, nicht zuletzt durch ein starkes Filmfördergesetz ermöglichten argentinischen Filmen der letzten 20 Jahre sei im letzten Jahr tragischerweise keine einzige Produktion gefolgt, die vom staatlichen Filminstitut finanziert wurde. „Wir machen trotzdem weiter, notfalls drehen wir mit dem Handy“, so Moreno. Wirklich problematisch sei Milei für andere, für die Arbeiter, die Alten, die armen Leute.

Dass Krisen die Notwendigkeit von Filmen befördern können, erzählt der Jury-Präsident mit Blick auf seinen ersten Berlinale-Besuch. Anfang der 90er Jahre wurde die Welt von der Aids-Krise erschüttert, die Independent-Szene in den USA war erheblich betroffen. Aber gerade in dieser Zeit sei deutlich geworden, dass Indie-Filme ein Publikum haben – und wie groß der Bedarf nach Geschichten abseits des Mainstreams sei.

Mit Blick auf die Bundestagswahl am letzten Berlinale-Tag dreht Maria Schrader die Krisen-Relevanz des Kinos auf die Gegenwart. Die Gefahr eines möglichen Rechtsrucks mache sie persönlich betroffen, wie andere auch. „Aber vor allem betrifft es meine Arbeit. Welche Geschichten müssen genau jetzt erzählt werden?“

Der bekannteste Film von Todd Haynes hierzulande ist sein eigenwilliges Dylan-Biopic „I’m Not There“ (2008), unter anderem mit Cate Blanchett als Bob Dylan. Am Freitag läuft auf der Berlinale ein neues Dylan-Biopic, „A Complete Unknown“ mit Timothée Chalamet. „Mein Film“, sagt Haynes, „hat gezeigt, dass es viele viele Dylans gibt. Es gibt genug Platz für weitere.“ Wenn das kein Plädoyer für Diversität ist.

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