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Kultur: Die letzte Oase

Der Magnet ist einer der heißesten Clubs der Stadt – und steht vor dem Aus. Die Immobilie an der Greifswalder Straße soll verkauft werden

An der Hauswand bröckelt der Putz, auf der Fassade klebt eine dicke Schicht aus Plakatresten, die sich Schicht um Schicht häuten. Die Greifswalder Straße ist keine Prachtallee und der Magnet Club kein Renommierobjekt. Jedenfalls dem Augenschein nach. Am Abend sieht es anders aus. Rotes Licht flimmert über samtene Vorhänge, auf den runden Steinelementen im Innern kauern jugendliche Clubgänger, viele aus dem Prenzlauer Berg und angrenzenden Bezirken, andere kommen mit dem Nachtbus angereist.

Der Club ist zwar nicht immer überfüllt, trotzdem gilt er unter Musikern als angesagte Adresse. Eine professionelle Licht- und Tonanlage und ein geräumiger Backstage-Bereich sind auch triftige Argumente. Im Magnet haben alle gespielt: die deutschen Bands MIA, Silbermond und Juli, und internationale Musiker wie die Libertines, Mark Owen von der Boygroup Take That und auch Maxïmo Park. Viele von ihnen füllten später größere Hallen, aber im Magnet hat es begonnen. Damit könnte nun bald Schluss sein. Den Mietern der Greifswalder Straße 212/213 wurde gekündigt.

Betroffen ist nicht nur der 2001 von Andor Klippel als Nachfolger des Miles-Jazz-Clubs gegründete Magnet Club mit seinen rund vierzig Mitarbeitern. Die 12 000 Quadratmeter der ehemaligen Bekleidungsproduktion VEB Treffmodelle bewohnt eine illustre Mietergemeinschaft, die eines vereint: Alle machen in Kultur. Im Quergebäude beschäftigt eine Kreativagentur rund dreißig Mitarbeiter, im Seitenflügel arbeiten internationale Maler und Bildhauer in kleinen Ateliers, Tondesigner tüfteln an elektronischen Klängen, ein amerikanischer Komponist betreibt hier sein Studio und im Hinterhof residiert der Eigenreich e.V., ein selbstverwaltetes Theater, gegründet von Absolventen der Schauspielschule Ernst Busch. Insgesamt arbeiten 155 Menschen auf dem Gelände. Deren Arbeitsplätze sind nun in Gefahr.

Für die TLG-Immobilien, eine Treuhand-Nachfolgerin, die mit dem Slogan „Stark im Osten“ wirbt, ist die Kultur offenbar nicht mehr lukrativ genug. Man suche nach neuen Investoren, wurde den Mietern erklärt. Interessenten sind offenbar noch nicht gefunden. Für die Kulturmacher, die sich nun Hilfe suchend an die Öffentlichkeit wenden, bahnt sich „eine Katastrophe“ an. So jedenfalls sieht es Verena Drosner, Theatermacherin und Vorsitzende des Vereins Eigenreich.

In dem Gebäudekomplex fanden Künstler bisher ideale Arbeitsbedingungen. Die Bausubstanz ist relativ jung, die Heizung teils neu. Luxus darf man nicht erwarten. In den Fluren wellt sich altes Linoleum und viele Fenster sind nur einfach verglast. Es zieht durch die Ritzen, doch für die Künstler ist die mit rund sechs Euro pro Quadratmeter vergleichsweise niedrige Miete wichtig. In Proberäumen und Ateliers hat man sich in notdürftiger Behaglichkeit zwischen Sperrmüll und Avantgarde eingerichtet, die Volksbühne und das Maxim-Gorki-Theater spendeten Teile des Bühnenequipments. Drosner ist sich sicher: „Dies sind die letzten bezahlbaren Räume im Prenzlauer Berg.“ Und Drosner weiter: „Hier wird die Berlin-Kultur von Profitinteressen bedroht.“

Schützenhilfe erhalten die bedrohten Mieter von Florian Schöttle, Atelierbeauftragter des Berufsverbandes Bildender Künstler (bbk). Schöttle hält die Kündigungen für das Produkt eines Verdrängungskampfes: Ökonomie gegen Kultur. Dabei sei die Kultur im Bezirk genauso ertragreich wie anderswo die Industrie. Und eine rentable Vermietung ist seiner Meinung nach durchaus möglich, den Leerstand etlicher Räume habe die TLG selbst verschuldet, weil sie Interessenten stets abgewiesen habe. Die Pläne, ein besenreines Gelände für neue Investoren zu schaffen, notfalls durch polizeiliche Räumung, hält Schöttle für absurd: „Die bundeseigene TLG betreibt ihre eigene Privatisierung und gebärdet sich wie ein privater Spekulant“, formuliert er angriffslustig. Die eigentliche Aufgabe der TLG seien strukturfördernde Maßnahmen und nicht zerstörende. Zumal eine Privatisierung des Geländes an der unwirtlichen Greifswalder Straße zu ähnlichen Problemen führen könne wie sie schon die vergleichbare Backfabrik an der Saarbrücker Straße hatte: Nach der Luxussanierung herrschte dort lange Zeit Leerstand und noch heute ist der Komplex nicht zu hundert Prozent vermietet.

Die TLG scheint sich bislang nicht umstimmen zu lassen. Laut ihrem Sprecher Olaf Willuhn hält sie an der „Entmietung“ fest und möchte die Immobilie zum Verkauf ausschreiben, geschätzter Preis: 3,5 Millionen Euro. So sieht es ganz danach aus, als würde sich abermals eine Berliner Verdrängungsgeschichte ereignen, die zuletzt den Techno-Club Tresor an der Leipziger Straße ereilte. Doch gibt es auch Vorbilder wie das Haus Schwarzenberg am Hackeschen Markt. Nach zähem Kampf mit einem privaten Spekulanten konnte das Haus schließlich für die Mieter gerettet werden.

Spät nun haben sich die Künstler zu einer Mieterinitiative zusammengeschlossen und entwickeln neue Visionen: Auf dem einstigen VEB-Gelände könnten sich wieder Modemacher ansiedeln, sogar die alten Nähsäle wolle man wieder in Betrieb nehmen. Schöttle will nun zusätzlich Gelder für Atelierförderung bereitstellen und das Büro von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse habe angekündigt, sich mit dem Fall zu befassen. Derlei Hilfe scheint auch nötig. Die Kündigungsfrist der meisten Künstler in der Greifswalder Straße beträgt nur drei Monate.

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