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Kultur: Die Minuten dazwischen

Zu Gast in Berlin: Ingrid Caven über Gott, Fassbinder und Peer Raben

Frau Caven, was würden Sie machen, wenn Sie kein Interview geben würden?

Versuchen zu schlafen.

Haben Sie einen Lieblingstraum?

Nur Albträume, die immer wieder kommen. Die haben mit schmutzigen Wassern zu tun. In letzter Zeit träume ich komischerweise auch über die Bedeutung von Worten. Auf Französisch oder auf Deutsch. Das wird dann fast lebendig, schwerblütig, fast körperlich.

Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Sprache und Musik ...

Kann ich nicht. Das ist so eng verbunden. Das kommt von meiner unmusikalischen Mutter, die eine wunderbare Tonfärbung in der dunklen Stimme hatte, so körperlich waren alle Sachen, die sie sagte. Manchmal hat sie Wörter gefunden, die es nicht gab. Ich habe als Kind schnell gemerkt, dass sie falsch singt, und mich überlegen gefühlt, aber auf eine Art war sie hochmusikalisch. Mein Vater hatte eine helle Stimme, spielte wunderbar Klavier, fünf Instrumente …

Ich kenne keine Sängerin, die so ambitioniert, angestrengt, anstrengend ...

Manchmal ist es das.

... mit Sprache umgeht.

Sind Sie, gemessen daran, wie heute sonst Sprache verhunzt wird, ein Fossil?

Gerne. Das ist mein Luxusleben. Das Ohr ist mit allen Muskeln des Körpers verbunden, ich habe mich zu einer Instrumentalistin entwickelt, die nicht nur Texte singt. Als wir mit Liedern anfingen, Peer Raben und ich, sagten wir: Wir machen neue Schlager. Es ist seltsam, was geschieht, je mehr man als Interpretin ein Lied formt. Kleist hat an einen Freund geschrieben: Gut, dass du immer von der Form sprichst. Aber du vergisst, dass die exklusive, großartige Form, die gefunden werden muss, dazu da ist, dass der seelische Inhalt durchfließt bis zum anderen Ende der Welt, ohne gestört zu werden.

Für wen singen Sie?

Für Gott.

Glauben Sie an Gott?

Wie Gott aussieht, was er denkt, wo er ist: Da gibt es ein Lied von Enzensberger, adressiert an einen, der unbekannt ist: „Dankeschön“. Für die Wolken, für das Wohltemperierte Klavier, für die Winterstiefel, für die Erdbeeren auf dem Teller, gemalt von Chardin. Für den Anfang und das Ende und die wenigen Minuten dazwischen: Dankeschön.

Ihr Mann hat in seinem Ingrid-Caven-Roman einen schönen Satz geschrieben –

Mein Mann? Mit Schuhl lebe ich. Er ist nicht mein Mann.

Ich habe ja nicht „Ehemann“ gesagt.

Ach, sagt man das heute: Ihr Mann …

Der schöne Satz war ebenfalls von Kleist und ging um die Fähigkeit, etwas zu geben, was man nicht besitzt.

Voilà. Man fragt mich, wie machen Sie das: dass Sie immer wieder frisch sind, dass Sie nicht langweilen? Das läuft über diese Form. Über den Stil.

Wären Sie ohne Peer Raben Sängerin geworden?

Ich habe schon als Siebenjährige vor tausend Schülern gesungen und mit Albert Schweitzer in Kirchen.

Dann wurden Sie Fassbinders Schauspielerin. Zur Sängerin ...

… haben die mich geschubst. Rainer hat für mich Texte geschrieben. Auch auf Reisen: Wir fuhren mal im BMW durch Kalifornien, er hörte grauenvoll laute Musik, ich saß am Steuer, da hat er „Akne vulgaris“ geschrieben. Damals hatte ich wieder meine Allergie.

Hat er nicht auch Akne gehabt?

Ja, als Junge. Und später, als er so dick war, konnte er sich nicht mehr ertragen. Der hatte ja einen tollen Körper. Wunderschöne Haut, hell, zart und zerbrechlich.

Peer, Rainer und der Mann, mit dem Sie jetzt leben: die drei Künstler Ihres Lebens?

Rainer, das war – eine Auseinandersetzung. Das war ja nicht nur die schwule Mary. Das war ja dann ein richtiger Mann. Ich habe erst gedacht, schwul ist schwul, hab mich gewundert, als der mit mir geschlafen hat. Ich hatte gedacht, ich geh zu meinem Freund, und er geht in die Klappe: Denkste! Er wollte ein Kind. Ich hatte gedacht, ich amüsier mich wie Bolle mit ihm, wir sind jede Nacht um die Ecke, ich hatte am Anfang viel Freiheit. Bis das dann immer enger wurde. Eine Art Liebe, die er sich konstruiert hat. Als wir geschieden waren, hat er immer wieder aus Spaß gesagt: Vor Gott sind wir verheiratet. Unsere Beziehung war dann toll, bis JeanJacques kam: wieder eine Katastrophe! Er hat betrunken gesagt: Dieser Jude stiehlt mir meine Frau. Ich mag den Rainer, hat Jean-Jacques gesagt, der ist doch nicht antisemitisch! Und dann immer wieder kleine Erpressungen, noch fünf Tage vor dem Tod: Ich soll kommen, er kriegt wieder eine Gürtelrose. Er hatte den Wahn, ich muss zu ihm zurückkommen.

Mit Peer Raben waren Sie nur als Künstler zusammen.

Mit Peer war ich auf andere Art eng. Die Stimme ist ja etwas sehr Intimes. Vor Jean-Jacques singe ich nicht, wenn ich etwas entwickle; mit Peer ja. Vor dem konnte ich jede Übung machen. Ausprobieren. Jeden Ton. Er war im Mai bei meinem Konzert in Baden-Baden, im Rollstuhl. Im Kursaal, mit wenig Leuten. Er war glücklich, hat ganz viel geklatscht.

Zu Ihrem „Lalala“ schrieb er die Musik. Singen Sie das im Berliner Ensemble?

„Die Zeit, die bleibt nicht stehn, und all das da, wird vergehn, lalala.“ Die andern werden weitersingen und tanzen, ich bin dann auch nicht mehr da, lalala. Peer wollte noch zwei Lieder für mich schreiben. Eins fängt so an: „Blaues, trübes Licht ... der Mann mit der Maske ... Narben, bloßgelegt über der Haut.“ Seltsame Akkorde zwischen Schönberg und Mahler.

Fassbinder und Peer Raben: Treffen Sie die wieder?

Ich weiß es nicht. Ich kenne Gott nicht. Für mich ist es dann erst mal aus.

Haben Sie Lampenfieber, wenn Sie jetzt auf die Bühne gehen?

Nein. Aber ich habe furchtbare Angst in letzter Zeit. Diese Toten der letzten Jahre: Daniel Schmid, meine Mutter, meine Schwester Trudeliese. Das ist eine Todesangst. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich das Konzert abgesagt. Man identifiziert sich ja auch. Ich bin selbst ’ne alte Häsin, aber es ist zu viel Verlust.

Was hilft dagegen? Singen?

Nein. Schlafen. Nichts wissen, nichts hören. Ich werde es am Abend mit meiner Technik so gut wie möglich machen.

Können Sie da Tränen vermeiden?

Weiß nicht. Die Traurigkeit darf ja kommen, dann macht man eine kleine Pause. Auf keinen Fall werde ich damit arbeiten, das wäre das Schlimmste. Das Wichtige ist: was übrig bleibt und auch vergänglich ist. Ist doch okay, oder? Großer Luxus.

– Das Gespräch führte Thomas Lackmann.

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