zum Hauptinhalt
Knackig, knusprig, künstlich. Gestricktes Gemüse auf einem Markt im englischen Seebad Brighton – nachhaltiger geht’s nimmer.

© mauritius images

Heimwerker: Die neuen Autonomen

Seit Jahren kriselt die Wirtschaft. Kein Problem, sagen sich altgewordene Idealisten und Zurückzurnatur-Reaktionäre. Warum immer mehr moderne Heimwerker und Hinterhofgärtner die Erleuchtung im Do-it-yourself finden.

Butter selbst machen? Soll ganz einfach gehen, hörte Susanne Klingner in einem Online-Video: 1) Einen Becher Sahne über Nacht stehen lassen. 2) In ein Schraubglas umfüllen und fest und rhythmisch schütteln. 3) Die Buttermilch abgießen und die gewonnene Masse abtropfen lassen. Fertig! „Und da schwimmt tatsächlich ein Klumpen Butter in einer milchigen Lache“, freut sich die freie Journalistin nach drei Minuten Schütteln. „Bisher hatte ich mir vorgestellt, dass die Frauen früher stundenlang am Butterfass standen. Ebenso dachte ich, dass man ein solches Butterfass braucht.“

Stattdessen kann Klingner jetzt im Supermarkt Sahne statt Butter kaufen gehen – und ihrem Partner jeden Morgen einen schnellen Aufstrich schütteln. Ein zähes, umständliches Jahr lang hat die 32-Jährige in ihrer Münchner Stadtwohnung die alte Nähmaschine abgestaubt, Blogs durchgeklickt, Basilikum gegossen und am Wochenende kurz versucht, die wichtigsten Gebrauchs- und Lebensmittel selbst zu machen: Seife und Käse, Muffins und Küchenschürzen, Schuhe und Zahnpasta. Herausgekommen ist das Buch „Hab ich selbst gemacht: 365 Tage, 2 Hände, 66 Projekte“ (Kiepenheuer & Witsch. Köln 2011. 326 Seiten, 8,99 €).

Klingners Brezeln wurden trocken und hart. Ihre Krapfen fettig und schwer. Fast alle Pflanzen starben an Mehltau. Und Socken selbst zu stricken, war ihr zu kompliziert. Trotzdem schritt sie bereits zur Halbzeit des Projekts tief verändert und stolz durch ein Kaufhaus. „Wer braucht das alles?“, fragte sie vor einer Unzahl unterschiedlicher Pürierstäbe. „Ich fürchte, ich habe den Bezug zur Konsumgesellschaft verloren.“

Lektion gelernt? Mission erreicht? Gemüse züchten und lokale Geschäfte fördern. Alte Konsum- und Kaufzwänge durchbrechen. Langsamer, ruhiger, besser leben. Begann die große Sehnsucht nach einem gesünderen Alltag vergangenen Sommer, mit Bestsellern wie „Tiere essen“ und „Die Essensfälscher“? Genügt als Ursache schon wieder „grüne Wutbürger“ oder „Wirtschaftskrise“? Oder erklärt sich der Bedarf nach Ernte-Blogs, Bio-Selbstfindungs-Memoiren und Online-Bastel-Marktplätzen wie Etsy und Dawanda als Spätfolge des „Landlust“-Trends (begonnen 2005, mit der gleichnamigen Zeitschrift)? Als Spät-Spätfolge des Baumarkt- und des Gartencenter-Booms?

Bei Manufactum, dem Versandhaus für solide, aber teure rustikale Accessoires, kaufen zwei Sorten Menschen ein, hat Benjamin von Stuckrad-Barre einmal geschrieben: Altgewordene Idealisten, träge vom Wohlstand, und „Zurückzurnatur-Reaktionäre in Kniebundhosen, deren matt nur noch schlagendes Herz an der heimischen Scholle hängt“. Der Stuckrad-Text ist 13 Jahre alt – aber immer noch aktuell: Die Firma Manufactum („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) und ihre Stellung im Zeitgeist sind seitdem nur weiter gewachsen.

Woher also die große Nachfrage nach häuslicher, natürlicher Idylle? Fing alles zur Jahrtausendwende an, am „Ende der Spaßgesellschaft“ und in den Wochen nach dem 11. September – als müde, bittere Soziologen das „Cocooning“ ausriefen, einen nervösen Rückzug aus dem Öffentlichen, hinein ins simple, übersichtlichere Private?

Sind Samstage im Blumenbeet oder am Herd nur Flucht und hilflose Zerstreuung? Scharren frustrierte, wohlhabende Ehepaare im Dreck, weil sie sonst nicht viel ändern oder selbst gestalten können?

„Wer jeden Tag auf dem Feld oder in der Fabrik mit seinen Händen malochen muss, hat vermutlich kein Bedürfnis, abends noch etwas ,Echtes’ herzustellen. Do-it-yourself ist ein Phänomen, das durch die Konsum- und Luxusgesellschaft noch angefeuert wird“, schreibt auch Susanne Klingner.

Umso schöner, dass zumindest im angelsächsischen Raum eine neue, pragmatische Generation der „Makers“, „Crafters“ und Selbstmach-Aktivisten Konsum und Häuslichkeit wieder entkoppelt – und ihren Traum vom nachhaltigen Leben mit deutlich weniger Perfektionismus, Startkapital und Lifestyle-Eitelkeit verfolgt.

Wichtiger als Regeln, Grauzonen (und zahllosen Kompromissen) beim Selber-Gärtnern, Selber-Kochen, Selber-Ausprobieren ist das Gefühl neuer Kontrolle in einer rigorosen Warenwelt: „Alles sieht gleich aus. Nichts ist ein Unikat“, klagte der Zukunftsforscher Jeff Jarvis schon 2009. „Darum macht es auch keinen Spaß mehr, etwas auf den Markt zu bringen, zu kaufen oder zu besitzen.“ Erst Tüftler und Einzelgänger, so Jarvis, „bringen die Vielfalt zurück. Der Handwerker ist wieder gefragt – auf Etsy.“

Lesen Sie im zweiten Teil, warum sich Do-it-yourself zum Angeben wenig lohnt.

Zu dieser neuen Wertschätzung für Einzelstücke und Selbstgemachtes fehlt es bislang an guten Untersuchungen. Richard Sennetts Kulturgeschichte der Werkstatt („Handwerk“, Berlin Verlag, Berlin 2008. 480 Seiten, 22 €) bietet statt Substanz nur eine Überfülle bunter Anekdoten, schaut weit in die Vergangenheit und ignoriert die Zukunft. Cory Doctorows Band „Makers“ dagegen, eine Utopie über die Internet-Trends der Jahre 2015 bis 2040, trägt eine viel zu dicke, rosarote Brille (Tor Books, New York 2009. 416 Seiten, 33 US-Dollar).

Einig sind sich Beobachter nur in der vagen Hoffnung, Netzwerke und örtliche Kooperation könnten bei der Verteilung schwindender Rohstoffe helfen. Zum Beispiel könnte man in Müllcontainer steigen, nachts, und abgelaufene Sahne stehlen. Daraus – wissen die Öko-Aktivisten Kelly Coyne und Erik Knutzen – lässt sich noch gute Butter machen. Erst „fünf bis zehn Minuten“ schütteln (mit einer kleinen Murmel in der Sahne geht es schneller), danach die Buttermilch gründlich auswaschen. Und salzen, unbedingt, sonst wird die Butter ranzig.

Kein Selbstmach-Buch wirkt besser recherchiert, glaubhafter, motivierter und sympathischer als Coynes und Knutzens Ratgeber „The Urban Homestead“ (Process, Port Townsend 2010. 330 Seiten, 17,95 US-Dollar): Hühner halten, „Seedbombs“ werfen, den Rasen so lange mulchen, bis überall Gemüse wachsen kann. In Anfängertexten wie bei Susanne Klingner bleibt Selbermachen oft „Versuch“, „Projekt“, exotische Störung des gewohnten Ablaufs. Dem Öko-Paar aus Los Angeles dagegen ist Do-it-yourself längst ins Blut übergegangen. Ihre Begeisterung wirkt weniger laut und japsig. Aber dafür um Welten tiefer.

Sogar die altbackensten Spar- und Haushaltskniffe werden hier zu einem Stück Rebellion oder Selbstverwirklichung. Sie reißen Lücken auf im Alltag. Zeigen Freiräume. Politisieren jedes Frühstücksei und jeden Gang zum Kühlschrank.

Zwei Bücher über sehr persönliche Landlust- und Selbermach-Karrieren beleuchten das am besten. So sind dem New Yorker Werbetexter Josh Killmer-Purcell Nachbarn, Umwelt und Gemeinschaft völlig egal, als er mit seinem Ehemann Brent, Gesundheitsberater für die Haushalts-Ikone Martha Stewart, eine 200 Jahre alte Farm als Wochenendhaus kauft. Ohne Plan, aber mit endlos guten Absichten nehmen sie 120 Ziegen und ein Lama bei sich auf, starten einen Versand für Ziegenseife und inszenieren, freitags bis sonntags, ein kitschiges Landidyll („The Bucolic Plague: How two Manhattanites became Gentlemen Farmers“. Harper, New York 2010. 366 Seiten, 24,99 US-Dollar).

Dann kommt die Wirtschaftskrise: Brent wird gefeuert. Die Arbeit auf der Farm macht keinen Spaß. Alles bleibt unfertig, windschief, ein Kompromiss. Und Purcell braucht einen langen, selbstkritischen Sommer, um zu verstehen, dass Martha-Stewart-Perfektionismus nur immer neue Unzufriedenheiten schafft. Für Selbermacher, lernt das Paar, hilft eher die Maxime Oprah Winfreys: „Werde nicht der Beste. Sondern die beste Version von dir selbst.“

Zum Angeben lohnt sich Do-it-yourself also entsprechend selten. Und selbst, falls man damit gelegentlich ein bisschen Geld spart, bezahlt man oft mit sehr viel Zeit und Scheitern. Für Mark Frauenfelder etwa, Chefredakteur des kalifornischen „Make Magazine“ erwies sich beinahe jedes zweite eigene Projekt als großer Flop. Die Hühner wurden vom Kojoten gefressen, die Bienen lebten lieber im Gebälk als im Bienenstock, und auch der Neuanfang auf der Pazifikinsel Rarotonga fiel ins Wasser. Frauenfelders Buch „Made by Hand: Searching for Meaning in a Throwaway World“ (Portfolio, New York 2010. 256 Seiten, 25,95 U-Dollar) ist eine selbstkritische, oft hilflose Sammlung gescheiterter Experimente. Witzig? Nein. Spannend? Oft. Vor allem aber: überraschend melancholisch.

„Selbstmachen ist nicht wirtschaftlich“, fasst Frauenfelder auf Nachfrage zusammen. „Aber es lohnt sich trotzdem, Energie ins Lernen und Ausprobieren zu investieren. Oft habe ich nur eine Viertelstunde Zeit, um an einer Gitarre zu bauen oder an einem Löffel zu schnitzen.“ Doch: „Wenn du etwas selbst machst, verändert sich dabei vor allem eines: Du selbst.“

Und für den Anfang? Ist vielleicht Buttermachen ein spannendes Projekt: Ich habe alte Sahne gut geschüttelt, etwa drei Minuten lang. Danach die Buttermilch abgeschüttet. Und? Fertig. Und gar nicht kompliziert. Ein gutes Gefühl.

Zur Startseite