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Prinzen der Melancholie: Joy Division.

© Metrolit Verlag

Pop-Memoiren: Die nordenglische Traurigkeit

Peter Hook war Bassist bei der Band Joy Division. Bis sich der Sänger Ian Curtis erhängte - und die Hinterbliebenen das Nachfolgeprojekt New Order gründeten. Dreißig Jahre später mischt Hooks großartiges Buch "Unknown Pleasures" Anekdoten, Kulturgeschichte und Trauerarbeit.

Es gibt viele traurige, teuflische und tödlich endende Episoden in der Historie der Popmusik. Hank Williams. Elvis. Michael Jackson. Die allertraurigste Geschichte aber ist die der Band Joy Division und ihres Sängers Ian Curtis. Curtis litt an epileptischen Anfällen, hatte Probleme mit dem Ruhm, den Drogen und mit seiner Ehefrau und erhängte sich 1980, gerade einmal 23 Jahre alt, in der Küche seines Elternhauses in Manchester. Am nächsten Tag hatte die Band zu einer Amerikatournee aufbrechen wollen, die wohl zum Triumph geworden wäre. Curtis hinterließ den Song „Love Will Tear Us Apart“, der posthum zum größten Hit seiner Band aufstieg, und das Album „Closer“, ein düster hallendes, von minimalistischen Gitarrenakkorden, psychotischen Rhythmen und monoton wehklagenden Gesängen geprägtes New-Wave-Meisterwerk.

Längst ist Ian Curtis zum Mythos aufgestiegen, es gibt mehrere Biografien über ihn, und der Fotograf Anton Corbijn, der die Karriere von Joy Division begleitete, hat ihm mit dem Spielfilm „Control“ ein Denkmal gesetzt. Doch kein Buch und auch nicht Corbijns Film ist ihm so nahe gekommen wie das nun den Erinnerungen von Peter Hook gelingt. Hook spielte Bass bei Joy Division und gründete nach Curtis’ Freitod mit den anderen Hinterbliebenen der Band das neue Projekt New Order. „Unknown Pleasures“, sein nach dem Joy-Division-Debütalbum benanntes Buch, ist eine Mischung aus Autobiografie und Kulturgeschichte, in der die Trauer um den verlorenen Gefährten noch immer zu spüren ist.

„Einerseits war er krank und verletzlich, andererseits war er ein schreiender Rockgott“, schreibt Hook. Dass ihr Frontmann an schweren Depressionen litt, hatten die Mitmusiker lange nicht mitbekommen. Und buchstäblich überhört. Hook beteuert, bei den Aufnahmen nicht wahrgenommen zu haben, dass Curtis in seinen Lyrics zu „Closer“ mit Songs wie „Isolation“, „A Means to an End“ und „The Eternal“ eine dunkle, ausweglose Welt beschwor. Erst als der Sänger nicht mehr lebte, wurde Hook klar, wie sehr er gelitten haben musste. „Mein Gott, du hast diese Texte wochenlang gehört – warum hast du nicht gemerkt, wie schlecht es ihm ging?“, wurde er gefragt. Seine Antwort: „Weil man es nicht merkte. Er hockte nicht zusammengesunken in der Ecke, er gab Vollgas.“

Der Weltschmerz von Curtis’ Versen und die abgründige Schönheit der Musik von Joy Division waren ein Produkt der nordenglischen Verhältnisse der siebziger Jahre. Die Industriemetropole Manchester befand sich im Niedergang, Fabriken wurden geschlossen, die Jugendarbeitslosigkeit erreichte Rekordmarken. Die Vorstadt Salford, in der Hook aufgewachsen war, hatten die Kommunalpolitiker nahezu komplett abreißen und neu aufbauen lassen. Seine Kindheit, schreibt er, habe sich „düster und versmogt und braun“ angefühlt, „wie die Farbe eines nassen Pappkartons“. Als er „Control“, Corbijns Film, sah, fiel ihm nicht auf, dass er schwarz-weiß war. Weil seine Erinnerungen genauso sind: schwarz-weiß. Über Manchester lag ein Grauschleier.

Hook, dessen Vater als Fahrer bei einer Glasfabrik angestellt war, ist stolz auf seine Herkunft aus der Arbeiterklasse. Nach der Schule schlug er sich mit einem schlecht bezahlten Job bei der Stadtverwaltung durch und hätte niemals davon geträumt, professioneller Musiker zu werden. Für den „Proletentrottel aus Salford“ waren Bands wie Led Zeppelin oder Deep Purple unerreichbar scheinende Wesen wie von einem anderen Planeten. Das änderte sich, als er im Juli 1976 ein Konzert der Sex Pistols besuchte. Die „sahen ebenfalls aus wie Proletentrottel“.

Also beschlossen Peter Hook und sein Schulfreund Bernard Sumner eine Band zu gründen, bald schloss sich ihnen Ian Curtis an, der beim Sex-Pistols-Konzert eine Jacke mit der Aufschrift „Hate“ getragen hatte. Hook ist ein präziser und charmanter Erzähler, in dessen Anekdoten immer wieder der Wahn, die Ekstasen und der Witz seiner Jugend aufleuchten. Über ein Konzert, bei dem es zu einer Massenschlägerei kam, schreibt er: „Wir spielten einfach weiter. Verdammt falsch zwar, aber die Band spielte weiter.“ New Order hat Hook vor ein paar Jahren verlassen. Der Grund war ein Zerwürfnis mit Sumner. Zur Rache nennt er Sumner nun konsequent Barney statt Bernard. Im zweiten Teil von Hooks Memoiren soll es um New Order gehen. Das kann heiter werden. Christian Schröder

Peter Hook: 

Unknown Pleasures. Die Joy Division Story. Aus dem Englischen von Stephan Pörtner,

Metrolit, Berlin 2013.

351 Seiten, 24,99 €.

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