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Schön gemütlich! Eine Frau tut Feuerholz in den Kachelofen.

© Franziska Kraufmann/dpa

Kolumne Zimmerreisen (4): Die Prinzessin und der Gnom

Auch in den eigenen vier Wänden können sich Welten auftun. Wir bleiben zu Hause – und lassen uns das Reisen nicht nehmen. Dieses Mal vor dem heimischen Kachelofen.

Einmal wäre er beinahe selber verreist. Da stand ein Bekannter bewundernd vor ihm, der sich mit Ofenbau auskennt, und meinte, in Bayern würden sie viel Geld für so eine Schönheit bezahlen. Kachel für Kachel könnte man ihn abbauen, durchnummerieren, in den Süden schicken und sich selber tolle Reisen mit dem Erlös finanzieren.

Da bleibe ich doch lieber zuhause. Mein Kachelofen ist ein Prunkstück aus der Gründerzeit, ein Eckensteher, hoch wie das Berliner Zimmer, gut 120 Jahre alt. Lichtgelber, grasgrün abgesetzter Porzellanstuck umrandet die Seiten unter seiner barockisierend geschwungenen Haube. Blattwerk, Schnörkel, Ornamente, dazu ein breiter Sims, auf dem sich gerade die Weihnachtskarten drängeln: Wir beide sind unzertrennlich.

Als wir vor über 30 Jahren hier einzogen, hatte die Vormieter-WG sein Antlitz mit schnöder Wandfarbe überpinselt. Der Ofen war weiß – und schrecklich verschmiert. Wenigstens das von einem Baldachin überwölbte Frauenköpfchen in der Kartusche über dem Gesims wollte ich freilegen. Zahnbürste, Schwamm, es dauerte Stunden und brachte fast nichts.

Seitdem hat die Prinzessin mit Krone im Lockenhaar eine kleine Narbe über den Augen, als Zeichen meiner Ungeduld. Mit dem Punkt auf der Stirn könnte man sie auch für eine Inderin halten.

Jahre später hat sich H. aus Afghanistan des Ofens erbarmt und die Originalfarbe freigelegt. Er war jung, voller Tatendrang, unendlich geduldig, brauchte einen Job und bestand darauf, dass der Ofen und ich deutsch mit ihm reden. Heute ist er Krankenpfleger in Berlin, die Patienten lieben ihn sehr. Mein Kachelofen war sein erster Patient.

Da hockt ein Gnom mit mauligem Mund

Eines Tages hat der Ofen mir übrigens sein Geheimnis verraten. Ich stand auf der Leiter, um eine Glühbirne auszuwechseln, aus dieser Perspektive sah ich ihn plötzlich mit anderen Augen.

Die gefurchte, längliche Wölbung in der muschelförmigen Mitte seiner Barockhaube, darunter der grüne, nach unten gezogene Halbbogen, darüber die in zwei kleine Kreisen mündenden Ranken: Keine Frage, da hockt ein Gnom mit mauligem Mund, Knopfaugen und buschigen Augenbrauen.

Hoch oben hält er Wache und vertreibt mit grimmigem Blick die bösen Geister aus der Wohnung. Zum Dank habe ich ihn zwischen den Jahren mal wieder tüchtig gefüttert, mit Holzbriketts, Pappkartons und dem ganzen Weihnachtsgeschenkpapier. Jetzt bullert er still vor sich und verwöhnt mich mit Wärme.

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