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Kultur: Die Tanzmacht

Zum Abschluss der Spielzeit Europa: Hofesh Shechters „Political Mother - Director’s Cut“.

Von Sandra Luzina

Ganz oben thronen die Gitarrengötter, sechs Cellisten sind auf der mittleren Ebene platziert, ganz unten dreschen die Trommler auf ihre Instrumente ein. Die vertikale Anordnung der Musiker irritiert zunächst, doch es ist überwältigend, wie die Klänge sich auftürmen, überlagern.

Zum Abschluss der Spielzeit Europa wird es laut. „Political Mother – Director“s Cut“ von Hofesh Shechter ist eine Kreuzung aus Tanzperformance und Rockkonzert – und eine emotionale Grenzerfahrung. Choreografische Konzerte liegen derzeit im Trend, doch der in London ansässige Shechter beschert dem neuen Genre einen Höhepunkt. „Political Mother“, die erste abendfüllende Produktion des Israeli, wurde zum Überraschungserfolg. In Berlin präsentierte Shechter nun die Neubearbeitung, den „Director's Cut“. Die 40 Mitwirkenden entfesseln eine furiose Energie. 16 Tänzer bewegen sich unterhalb der 24-köpfigen Band, die entrückt über ihnen schwebt. Immer wieder schweift ihr Blick nach oben.

„Political Mother“ hat die Energie eines Rockkonzerts und ist zugleich eine Reflexion über Macht und Masse. Shechter beleuchtet die verschiedenen Formen der Repression, er zeigt die körperlichen Folgen von Macht. Dabei geht es nicht nur um die Unterdrückung von Individualität, sondern auch um den Wunsch nach Gefolgschaft.

Wenn Shechter, der studierte Percussionist und Komponist, den Heavy Metall Sound mit dem militärischen Klang der Trommeln unterlegt, schwingt ein bedrohliches Echo mit, das von Gleichschritt und Gehorsam erzählt. Ganz oben neben den Gitarristen hampelt ein irrer Diktator vor dem Mikro, stammelt unverständliche Parolen. Später zappelt an gleicher Stelle ein frenetischer Sänger, schreit sich in Rage. Die aufgeputschte Masse verwandelt sich bei Shechter in ein dressiertes Tanzkorps. Der Aufruhr wird zu Drill und Devotion.

Die Tänzer formieren sich in einer Reihe oder im Kreis – die Anleihen bei der israelischen Folklore sind offensichtlich, doch Shechter verzerrt das Material, schüttelt es durch. Die Bewegungen haben oft etwas Geducktes, Eingeschnürtes. Und immer wieder bewegen sich die Tänzer im Gleichschritt, die Körper dicht aneinandergedrängt. Der Drill ist beklemmend, hat aber auch eine groteske Komik. Am Ende verkündet eine Leuchtschrift: „Where there is repression ...“ Nach einigen Sekunden folgt: „... there is folkdance“.

Shechter springt zwischen den Darstellungsebenen hin und her. Die Tänzer erinnern in ihren schlammfarbenen Anzügen an Kriegsgefangene oder Lagerinsassen. Die Arme haben sie über den Kopf erhoben, Geste der Kapitulation.Der Anführer mit der Gorilla-Maske schreitet die Reihe der Wehrlosen ab, weidet sich an ihrer Ohnmacht.

Shechter ist misstrauisch gegenüber allen Formen der kollektiven Bewegung, er sieht überall die verführbare Masse. „Political Mother“ ist immer noch ein düsteres, pessimistisches Stück und gleichzeitig eine Wucht. Die Zuschauer auf ihren Stehplätzen folgen dem Tumult diszipliniert, am Ende aber werden Shechter und sein Ensemble enthusiastisch gefeiert. Sandra Luzina

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