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Kultur: Doppelt hält besser

Soviel Solidarität war nie: Wilde-Premiere an der Komödie am Ku-Damm

Noch nie dauerten die zwanzig Schritte von der Theaterkasse bis ins Foyer der Komödie am Kurfürstendamm so lange wie bei der Premiere von Katharina Thalbachs „Bunbury“-Inszenierung. Der Grund: Der Abend wurde zur neuerlichen Protestkundgebung für die Erhaltung der Kudamm-Bühnen. Im Gedrängel erläutert Tote-Hosen-Sänger Campino seine Haltung zur Deutschen Bank, steht dabei Otto Sander auf dem Fuß und kommt Katja Riemann, Thomas Flierl, Rolf Eden und mindestens siebzehn Fotografen in die Quere. Nach links auszuweichen wäre ungünstig für den Besucher, denn dort würde er BE-Chef Claus Peymann anrempeln, der wiederum Jürgen von der Lippe und Didi Hallervorden in den Rücken fiele. Rechterhand hält Desiree Nick wie ein Nummerngirl den in hoher Auflage kursierenden Aufkleber „Rettet die Kudamm-Bühnen!“ in die Kameras.

Alle sind sie gekommen an diesem Abend, Thomas Flierl übrigens zum ersten Mal: Volker Schlöndorff und Otto Sander, Bernd Wilms als Intendant des Deutschen Theaters, Christine Kaufmann, Inga Busch und Renan Demirkan, Curth Flatow und Judy Winter. Die Aufregung ist groß. „Ich habe meinen Karl Marx gelesen“, ruft Jaecki Schwarz: „Das ist blanker Kapitalismus“. Und Gisela May bringt es auf den Punkt, wenn sie schimpft: „Am Broadway wäre so etwas undenkbar. Und der Ku-Damm ist der Broadway von Berlin.“

Selten gingen Marketing und Solidarität mit dem Boulevardtheater eine so enge Symbiose ein: Mit „Ernst – und seine tiefere Bedeutung", besser bekannt als „Bunbury“ bringen die Woelffer-Bühnen ihre erste Premiere nach der Kündigung des Mietvertrags heraus. Die Pläne des Immobilienfonds der Deutschen Bank, die von Max Reinhardt begründeten Traditionsbühnen zugunsten eines Shopping-Centers abzureißen, drohen unverändert. Seit sich aber der bekennende Boulevardliebhaber Klaus Wowereit, der sich bei der Premiere übrigens von seinem Lebensgefährten vertreten ließ, in die privatrechtliche Auseinandersetzung eingeschaltet und Gespräche mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann erzwungen hat, besteht für den Familienbetrieb neue Hoffnung.

Und weil nicht nur das alte Westberlin zum Schulterschluss erschienen ist, findet der erste Akt diesmal im Foyer statt. Gegen die Wirklichkeit und ihre solidarischen Inszenierungen ist ein Bühnenstück kaum konkurrenzfähig. Selbst wenn es sich um die wohl ruhmreichste Selbstinszenierungsboulevardeske handelt und die Regisseurin Katharina Thalbach heißt. Die Szenen aus dem Dandy-Salon, die der klamme Oscar Wilde gegen Vorkasse verfasste und wegen ihres anspruchsvollen Wortwitzes als der Bildungsbürgerklassiker des Genres gelten, beziehen ihre Komik aus den Doppelidentitäten der Figuren. Der Londoner UpperClass-Snob Algernon, den Johannes Zirner mit dem Charme eines knuddeligen Pennälers ausstattet, erfindet sich einen morbiden Freud namens Bunbury, um jederzeit vor seiner Tante, Lady Bracknell, und ihren Langweiler-Soireen aufs Land flüchten zu können. Sein Kompagnon John, den Lucas Gregorowicz facettenreich ausstattet, führt selbst eine Art Doppelleben und agiert bei seinen Stadtreisen unter dem Namen Ernst wohlig alles Schlampige aus. Als sich Algernon in Johns Mündel und John in Lady Bracknells Tochter verliebt, entfalten sich sämtliche boulevardesken Kalamitäten, die das Verwechslungsgenre hergibt.

Thalbachs Inszenierung macht gleich im ersten Bild klar, wie sie mit Wildes Steilvorlagen zu verfahren gedenkt: Der Schauspieler Richard Barenberg, der das gesamte Hauspersonal vom Turban-Butler mit Akzent bis zum Dienstmädchen mit Triebstau unterm Gouvernantensackkleid spielt, streicht augenzwinkernd über ein Miniaturbildnis Oscar Wildes. Es hängt an einer der Stellwände, die eine Salon-Bibliothek zitieren und mit denen Bühnenbildner Momme Röhrbein die Spielfläche so zugestellt hat, dass man anfangs befürchtet, die Akteure müssten sich genau so auf die Füße treten wie zuvor die Prominenz im Foyer. Die Inszenierung klotzt mit Requisiten, seidenen Raffkleidern, Zylindern, Schnallenschuhen und Federkopfputzen. Und weil die erste Boulevard-Regel besagt, dass Tempo und Timing stimmen müssen, spricht man schnell und drückt auf die Genre-Tube, was das Zeug hält. Dabei werden Wildes Bonmots – „Schönheit endet dort, wo der intellektuelle Gesichtsausdruck anfängt“ – von einem dressierten Salonmops mit Silvesterhütchen ausgekontert, von bunten Papiervögelchen weggeflattert oder vom Bühnenregen benässt.

Schade, dass Thalbach dem Wortwitz und ihren eigenen Slapstick-Ideen nicht mehr vertraut. Was da verschenkt wurde, merkt man, wenn sich Algernon und John mit ihren versnobten Spazierstöcken an Krawattenknoten, Kopf und Kragen duellieren. Oder wenn ihre Partnerinnen – Anna Thalbach und Karina Krawczyk – sich mit lasziver Schüttelchoreografie nebst Reifrockheben und Gesang revanchieren. Beiden hätte man mehr Raum gewünscht. Die Regisseurin selbst spielt übrigens Lady Bracknell – nach der Premiere alternierend mit Andreja Schneider – und stattet die illustre Upper-Class-Nudel mit genau der richtigen Dosis Schlampigkeit aus: Routiniert setzt sie auf die Pointen.

Mit Wilde und dem gehobenen Boulevard ist Intendant Martin Woelffer, der für eine behutsame Verjüngung und Intellektualisierung des Genres steht, auf dem richtigen Weg. Außerdem gilt: An diesem Abend ging es weniger um Experimente als um die Rettung der Tradition.

Wieder heute sowie am 18., 19., 21., 22., 24., 26., 27. - 29. und 31. Januar.

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