
© Thomas Ziegler
Ehemaliger Tagesspiegel-Klassik-Redakteur gestorben: Trauer um Bernd Feuchtner
Wissenschaftler, Musikkritiker, Theatermacher: Bernd Feuchtner war der Klassik auf vielerlei Weise verbunden. Jetzt ist er mit 75 Jahren völlig überraschend verstorben.
Stand:
„Sie sollen die Aufführung bewerten, nicht die Werke!“ Bernd Feuchtner konnte streng sein. Als Redakteur für klassische Musik beim Tagesspiegel machte er mir, dem Studenten der Musikwissenschaft, den er als freien Mitarbeiter akzeptiert hatte, Mitte der 1990er Jahre den Unterschied klar zwischen akademisch-analytischem Sezieren und journalistischer Berichterstattung.
Dabei trug er seine Kritik an meinen Kritiken auf die denkbar freundlichste Art vor, mit leiser Stimme. Denn er war ein Mensch von sanftem Wesen, umgänglich und dezent im Auftreten. Aber eben auch konsequent, wenn es um Inhalte ging. Und er legte Wert auf Objektivität - die es ja eigentlich gar nicht geben kann bei Rezensionen, die letztlich immer vom privaten Eindruck eines Individuums geprägt sind.
So objektiv wie möglich
Bernd Feuchtner war sich des Widerspruchs bewusst, der dem Beruf des Feuilletonisten eingeschrieben ist. Gerade darum aber lag ihm so sehr dran, dass Kritiken stringent durchargumentiert werden, nachvollziehbar auch für jene, die aus dem besprochenen Konzert oder der aktuellen Opernpremiere mit einer anderen Meinung herausgekommen waren als der Kritiker.
Feuchtner kam aus der Wissenschaft, nach dem Abitur in seiner Geburtsstadt Nürnberg hatte er in Frankfurt am Main Soziologie, Politikwissenschaften und Geografie studiert und 1986 bei Iring Fetscher promoviert. In seiner Dissertation wies er erstmals nach, wie der Komponist Dimitri Schostakowitsch unter dem Druck des Stalinismus seine Musik inhaltlich mit einem doppelten Boden versehen hatte: Was nach außen scheinbar der Parteilinie entsprach, kündete subkutan vom Leid der Menschen unter der Diktatur.
Spezialist für Schostakowitsch
Nachdem die Dissertation in Buchform erscheinen war, bekam Bernd Feuchter gleich mehrere Angebote, als freier Kritiker zu arbeiten. 1992 machte ihn der damalige Tagesspiegel-Feuilletonchef Günther Rühle dann zum Redakteur für Musik und Tanz. Er blieb jedoch nur vier Jahre, ging dann zum Magazin „Opernwelt“ und wechselte 2005 schließlich in die Praxis.
Als Operndirektor wirkte er zunächst in Heidelberg, später in Salzburg. 2011 holte ihn das Badische Staatstheater als Chefdramaturg nach Karlsruhe und übertrug ihm auch die Leitung der Händel-Festspiele. 2023 schließlich übernahm er in Halle/Saale die Doppelfunktion als Direktor des Händel-Hauses wie auch der dortigen Festspiele.
Für mutigere Spielpläne
Die Lockdowns der Corona-Zeit hatte er zuvor genutzt, um ein erhellendes Buch zu schreiben: „Die Oper des 20. Jahrhunderts in 100 Meisterwerken“. Wer sich für das Musiktheater des vergangenen Jahrhunderts öffne, schwärmt er darin, dem „entrollt sich ein überreiches Opernschaffen mit einer unglaublichen Bandbreite an Formen und Farben, Temperamenten und Stimmungen, Geschichten und Fantasien“.
Diese Vielfalt feiert Feuchtner auf 688 Seiten– mit einer Leidenschaft und Eloquenz, die beim Lesen sofort die Lust weckt, möglichst viele der Werke live zu erleben. Denn das Musiktheater, das Bernd Feuchtner schätzte, ist eines, das die Zuhörerinnen und Zuhörer emotional erreichen will, mit allen nur erdenklichen Mitteln.
Überzeugend auch seine These, das so genannte „Regietheater“ sei nur deshalb entstanden, weil sich das Opernrepertoire über die Zeit immer mehr verengt habe. Wer stets dieselben Stücke neu deuten müsse, verfalle fast zwangsläufig auf die abstrusesten Ideen. Als Gegenbeispiel führte Feuchtner die Musik des Barock an, die erst in jüngerer Zeit neu erschlossen wurde - und überall das Publikum begeistert.
Bernd Feuchtners Credo lautete darum: Die Bühnen müssen wieder mutiger werden bei der Gestaltung ihrer Spielpläne! Als Kritiker wie auch als Theatermann hat er unermüdlich dafür gekämpft. Weil er fest an die Kraft der Musik glaubte. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel schrieb er im November 2020: „Hat das Publikum erst einmal Vertrauen zu seinem Theater gefasst, lässt es sich auch verführen. Und das zieht wiederum neue Besucher an.“
Im Alter von 75 Jahren ist Bernd Feuchtner jetzt völlig unerwartet verstorben.
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