Wie die Welt regiert werden soll: Ein Fall für die Gouvernante
Wer soll die Welt künftig regieren? Global-Governance-Forscher blicken bis ins Jahr 2050 – und sagen eine „post-amerikanische Welt“ hinaus.
Braucht die außer Rand und Band geratene Welt eine Gouvernante? Die alte Tante UN lässt wenig hoffen, und von starken Männern hat die Welt schon längst genug. Ob ihr mit stärkeren Frauen geholfen wäre, darüber sinnt zwar Gabriele Abels in einem Sammelband über Global Governance nach, aber die Antwort lautet trivial gesagt doch eher: Die Welt braucht keine gute Gouvernante, sondern good governance.
„Wer regiert die Welt und mit welchem Recht?“ ist demnach die Titelfrage des Sammelbandes, der 14 Beiträge zum Stand der Global-Governance-Forschung enthält. Sie zitiert den Titel der Tübinger Theodor-Eschenburg-Vorlesung 2008 von Michael Zürn, dem Dean der Berliner Hertie School of Governance und Abteilungsdirektor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Zürn untersucht die drei großen Szenarien der Weltpolitik, die seit dem Ende der bipolaren Weltordnung des Kalten Kriegs diskutiert werden: Den multipolaren Zerfall der noch bestehenden Allianzen, die unipolare Dominanz eines amerikanischen Imperiums oder – die hoffnungsvollste Variante – die Herausbildung einer „Weltinnenpolitik“ durch Institutionalisierung und Verrechtlichung der Weltpolitik. „Wird die Welt“, so lautet die Schicksalsfrage, „also durch die anarchische Struktur des souveränitätsbasierten Staatensystems, durch die imperialen USA oder durch globale Normen in einer konstitutionalisierten Weltordnung bestimmt werden?“
Am leichtesten fällt die Antwort noch im Blick auf die Ausgangslage, deren empirische und normative Analyse zwei Drittel des Buches ausmacht; einen Blick in die Zukunft wagt von den 14 Beiträgern des Sammelbands nur „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer. Michael Zürn schließt zunächst die These von einem US-Imperium aus, nachdem die USA zwar (mit 46 Prozent der weltweiten jährlichen Militärausgaben) die führende Militärmacht der Welt sind, aber nicht das Hauptmerkmal klassischer Weltimperien – dauerhafte territoriale Kontrolle anderer Kontinente – erfüllen. Wohl aber nehmen sie – wie noch andere größere Mächte – eine Sonderstellung und Sonderrechte im System der internationalen Beziehungen ein, sei es neben oder in deren Gremien und Institutionen wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem Internationalen Währungsfond IWF oder den Gruppierungen der Wirtschaftsmächte. Auch in anderen Fällen, wie etwa beim Kyoto-Protokoll, haben die USA nach Zürners Befund „derartig günstige Bedingungen aushandeln können, dass sich die Frage nach der formalen Gleichbehandlung stellen lässt.“
Doch nicht für sie allein, denkt man an die neue Rolle Chinas oder die alten Rechte der privilegierten Atommächte. „In der Summe lassen sich jedenfalls Entwicklungen beobachten, die darauf hinweisen, daß Staaten unterschiedliche Rechte formal zugeschrieben werden. Zu dieser Tendenz einer formalen Anerkennung von Ungleichheitsrechten tritt zweitens eine selektive Umsetzung der Regeln vor allem im Sicherheitsbereich hinzu.Es sind also die mächtigsten Staaten, allen voran die USA, die bestimmen, welche fundamentalen Normverletzungen sanktioniert werden und wann nicht.“ Das verhindert zwar einen Rückfall in internationale Anarchie, aber weckt auch Zweifel an einer gleichberechtigen Weltordnung der Nationen, wie sie das (dritte) Szenario ihrer umfassenden Konstitutionalisierung verheißt.
Für Zürn folgt daraus ein viertes Szenario, das „bisher nicht diagnostiziert worden“ sei: Er nennt es im Jargon der Politikwissenschaft „ein rechtlich stratifiziertes Mehrebenensystem“ mit supranationalen Normen, die aber nicht auf dem Prinzip der Rechtsgleichheit beruhen, sondern Differenzierung der Rechte und Pflichten aufgrund unterschiedlicher Beiträge zur Ordnungsbildung, ja sogar Doppelstandards und Diskriminierung erlauben. Ein solches System gleicht weniger einer Weltregierung als einem Netzwerk, dessen Normen seine staatlichen Mitglieder in unterschiedlichem Ausmaß bindet. Es umfaßt auch nichtstaatliche Ebenen der Globalisierung wie die zunehmende vernetzte Weltwirtschaft und die Finanzmärkte, die – entgegen dem Augenschein der jüngsten Krise – schon bisher nicht unreguliert waren, aber jetzt ebenfalls vor einem Umbruch der Machtstrukturen stehen.
Dabei kommt die OECD als „weltwirtschaftliches Gravitationszentrum“ in den Blick, die mit dem Erlass von Richtlinien zur Regulierung der Weltwirtschaft 1976 wenig Erfolg hatte. Ihre Guidelines für Auslandsinvestitionen blieben zunächst praktisch wirkungslos, bis Kofi Annan im Jahr 2000 die Gründung des Global Compact gelang, eines freiwilligen Pakts transnationaler Unternehmen für globale Sozialverantwortung. In das dort vorgesehene Beschwerdeverfahren wurden auch die revidierten Guidelines aufgenommen. Ihre Regeln sind nicht rechtsverbindlich, können aber zur Grundlage für Beschwerden gegen das konkrete Verhalten von Unternehmen dienen. „Diese verhalten positive Einschätzung der OECD-Guidelines“, meint der Düsseldorfer Politologe Hartwig Hummel, „kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reichweite dieses freiwilligen Instruments insgesamt beschränkt bleibt.“
Die Reichweite des Sammelbands führt immerhin, dank Theo Sommer, bis ins Jahr 2050. Seine Prognose für die Zukunft der Weltpolitik lautet kurz: „Weltregierung: nein, Global Governance: ja.“ Er entwirft zehn globale Trends, die er in eine „post-amerikanische Welt, eine post-Petroleum Welt, eine weniger weiße Welt“ der Jahrhundertmitte münden lässt. Ohne einheitliche Weltregierung, „wohl aber gibt es ein Stück world governance, also Regeln für die Zusammenarbeit jener Staaten, die aus der Globalisierung einen Erfolg machen wollen.Zugleich wächst der Einfluß der nichtstaatlichen Akteure auf das Handeln der Staaten. Es ist dies zumindest die partielle Realisierung dessen, was Carl Friedrich von Weizsäcker vor fünf Jahrzehnten schon als fällige, als überfällige ,Weltinnenpolitik’ gefordert hat.“ Sein Wort ins Ohr des Weltenlenkers!
Volker Rittberger:
Wer regiert die Welt und mit welchem Recht? Beiträge
zur Global Governance-Forschung.
Nomos Verlag Baden- Baden 2009,
294 Seiten, 49 Euro.
Hannes Schwenger