
© HOLGER TALINSKI
Ein Ligeti-Abend im Boulez Saal: Komplexität und Enthusiasmus
Von Kammermusik bis Solokonzert. François-Xavier Roth dirigiert das Boulez Ensemble mit Michael Barenboim an der Violine und Ben Goldscheider am Horn.
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„Ich bin wie ein Blinder im Labyrinth, der sich herumtastet und immer neue Eingänge findet und in Zimmer kommt, von denen er gar nicht wusste, dass sie existieren“, beschrieb der 2006 verstorbene György Ligeti einmal sein Lebenswerk. Einige der klanglichen Wunderkammern, die er dabei auftut, sind am Samstag im Boulez Saal zu erleben. Unter François-Xavier Roth bringen die Musiker:innen des Boulez Ensembles verschiedene Werke von Kammermusik bis Solokonzert zur Aufführung.
Das viersätzige Trio für Violine, Horn und Klavier leitet den Abend ein. Ligeti schrieb es 1982 nach längerer Schaffenskrise als Hommage an Johannes Brahms’ gleich besetztes Trio. Dabei vermeidet er zwar das romantisierende „Wiederkäuen der Vergangenheit“, setzt die Instrumente aber konventionell ein.
Im ersten Satz erschaffen Michael Barenboim (Violine), Ben Goldscheider (Horn) und Giuseppe Mentuccia (Klavier) wehmütige Dialoge, bei dem Horn und Violine einander umspielen und von den klaren, durchsichtigen Einwürfen des Klaviers durchbrochen werden. Besonders eindrücklich gelingt der vierte Satz, „Lamento“, mit seinen barocken Anklängen. Klagend stemmen sich die Seufzermotive von Horn und Violine gegen das drohende Passacaglia-Thema des Klaviers, das schließlich in tiefster Lage zu perkussivem Geräusch wird. In erschütternderem Pianissimo verklingt das Werk.
Zart pulsierende Sphärenklänge
Nach diesem ernsten Auftakt entrückt das Kammerkonzert für 13 Instrumente in zart pulsierende Sphärenklänge. Auch in diesem Werk von 1969 baut Ligeti auf barocken Konzerttraditionen auf, erweitert sie aber um Instrumente wie Harmonium und Celesta. Die Aufführenden sind gleichberechtigt, es gibt keine Hierarchie zwischen Melodie und Begleitung.
Unter dem klaren, unprätentiösen Dirigat von François-Xavier Roth lässt das Boulez Ensemble wabernde Klangflächen entstehen, die an Ligetis kurz zuvor komponiertes Chorwerk „Lux Aeterna“ erinnern und auf „Clocks and Clouds" (1972-73) vorausweisen. Man gerät beim Hören in leichte Trance und meint, in ihren plappernden, verschachtelten Rhythmen die Instrumente buchstäblich sprechen zu hören.
Den Höhepunkt des Abends bildet das fünfsätzige Violinkonzert, das zwischen 1990-1992 entstand. Das 25-köpfige Orchester füllt das Oval des Saales komplett aus und ist um Exoten wie Okarina und Lotosflöte bereichert. Trotzdem ist Ligetis Tonsprache hier einfacher, das Hauptthema ist sogar tonal. Michael Barenboim brilliert in dem extrem virtuosen Solopart, der in der Kadenz gipfelt.
Der ausverkaufte Saal dankt mit enthusiastischem Applaus und beweist, dass die Komplexität von Ligetis Musik im Konzerterlebnis verständlich wird und zu bewegen vermag.
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