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Szene aus "Mädchenorchester" im Heimathafen Neukölln.

© Nihad Nino Pusija

Ein Stück über das Mädchenorchester von Auschwitz: Musik am Abgrund

Sie wurden gezwungen, für die Häftlinge und SS zu spielen. Jetzt steht das Mädchenorchester von Auschwitz im Mittelpunkt eines Theaterabends im Heimathafen Neukölln.

„Die Profi-Musiker konnte man bei uns an einer Hand abzählen. Aber das war immer noch besser als perfekte Musik für die Nazis zu spielen“, ruft ein Darsteller in die Stille. Gerade hat sich die Szenerie auf der Bühne des Heimathafens Neukölln erneut gewandelt, der Innenhof des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ist erneut dem Probenraum des Mädchenorchesters gewichen. Gegründet, um zu feierlichen Anlässen im Lageralltag ein „ansehnliches“ Ensemble zur musikalischen Darbietung zur Hand zu haben, diente es den Nazis als Propagandamittel und Taktgeber zugleich. Die Mädchen, die hier mitspielen mussten, waren sogenannte Funktionshäftlinge und genossen Privilegien, etwa die Möglichkeit, sich täglich zu waschen. Das Orchester sollte ansehnlich sein, wenn Dr. Mengele nach getaner Arbeit vorbeikam, um sich „von seinen Strapazen zu erholen“. Das einzige reine Mädchenorchester von Auschwitz-Birkenau spielte zur Belustigung für die SS-Oberen, trieb morgens und abends den Zug der Zwangsarbeiter durch die Eingangstore und musste vor den Mithäftlingen auftreten – manchmal nur wenige Minuten, bevor diese ins Gas geschickt wurden.

Die Schönheit und Verletzlichkeit von Musik

„Mädchenorchester“ ist ein Stück über die Schönheit und Verletzlichkeit von Musik, entwickelt von Regisseurin Susanne Chrudina in Kooperation mit den Spreeagenten, der Ernst-Haeckel-Schule in Hellersdorf und dem Jugendorchester der Schostakowitsch-Musikschule Lichtenberg. Die Protagonisten selbst sind zwischen 14 und 30 Jahren alt. Das Konzept, ein Jugendensemble auftreten zu lassen, geht hervorragend auf. Das Ensemble, angeleitet von Schauspielerin Sonja Kesser und Anja Langner, spricht fast ausschließlich Originalzitate von Zeitzeugen, die diese Hölle überlebt haben. Für einige war Musik die Rettung. Andere konnten ihr Instrument nie wieder anfassen.

[wieder 19. und 20. September im Heimathafen Neukölln ]
„Mädchenorchester“ beleuchtet ein weitestgehend unbekanntes Kapitel des Holocaust. In über zwei Stunden wird dem Zuschauer die Geschichte mit ihren einzelnen Mitgliedern in collagenartigen Szenen dargestellt. Das ist allerdings definitiv zu lang – sowohl das Publikum als auch die Darsteller kämpfen zum Ende mit der Konzentration. Dabei greift das Stück elementare Fragen auf: Hat die Musik den Gefangenen geholfen? Oder wurde die Kunst vergewaltigt? Antworten finden sich in den leisen Zwischentönen.

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