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Zeit für die Familie. Und viel Alkohol. Szene aus "Schöne Bescherung".

© Franziska Strauss

„Schöne Bescherungen“ im Schillertheater: Ein Weihnachten mit Sicherheitsabstand und Slapstickfreude

Die Chaoskomödie„Schöne Bescherungen“ zelebriert die älteste aller Weihnachtstraditionen: die Selbstzerfleischung der dysfunktionalen Familie, diesmal unter Pandemiebedingungen.

Falls es den Beweis noch gebraucht hätte: vor Corona ist im Moment kein Entkommen. Selbst das Personal des Alan-Ayckbourn-Klassikers „Schöne Bescherungen“ ringt mit den Beschränkungen der Pandemie. Gastgeberin und Hausherrin Belinda, die zur traditionellen Familienzusammenkunft an Weihnachten geladen hat, will zum Beispiel gerade in nächtlicher Stille den Schriftsteller Clive vernaschen, da erinnert sie sich an das Maskengebot. Küssen ohne Mundschutz?

Wohl kaum. Und bevor es richtig zur Sache gehen kann, mahnt sie hygienebewusst: „Denk an den Sicherheitsabstand!“ Was den Lover in spe dann doch überfordert: „1,50 Meter, wie stellst du dir das vor?“ Immerhin ein moderater Lacher im Schiller Theater, wo die Komödie am Kurfürstendamm auch in diesem Jahr überwintert.

[En suite bis 28. Dezember, www.komoedie-berlin.de]

Regisseur Folke Braband gibt sich Mühe, die 41 Jahre alte Chaoskomödie ins Heute zu holen. Figuren werden mit Mobiltelefonen ausgestattet. Und zu Füßen des prachtvollen Tannenbaums, den Bühnenbildner Tom Presting ins weitläufige Wohnzimmer der Familie Bunker gesetzt hat, liegen jetzt technisch aktuelle Geschenke wie ein tanzender Roboter oder eine Drohne mit hochauflösender Kamera. Unangetastet bleibt dagegen ein Ayckbournscher Running Gag über schwule Lokomotivführer, der schon 1980 nicht rasend sophisticated gewesen sein dürfte.

Aber geschenkt. „Schöne Bescherungen“ erweist sich insgesamt als ziemlich zeitloses Vergnügen für alle, die der punschbefeuerten Weihnachtsharmonie noch nie getraut haben und sich an der Selbstzerfleischung dysfunktionaler Familien ergötzen wollen.

Die schöne Weihnachtsfreude kriegt einen tragischen Beiklang

Braband lässt die überspannten Feiertagsfiguren bei aller Slapstickfreude nie ganz in die Karikatur kippen. Stattdessen darf ein sehr gutes Ensemble die kleineren und größeren Abgründe auskosten, die hinter den Schrille-Nacht-Momenten aufblitzen. Im Grunde sind es ja lauter einsame Menschen, die Ayckbourn bei Lammbraten und versammelt. Wie Achim Wolffs Onkel Harvey, ein Weihnachtshasser und Raubein mit Vorliebe für blutrünstige Haifisch-Dokus, der Pumpguns für die Kinder unter den Baum legt.

Das Gastgeberpaar – Autohaus-Besitzer Neville (Timothy Peach) und seine Frau Belinda (Katja Weitzenböck) – ist ebenso in einer lieblosen, respektarmen Ehe verhaftet wie Loser-Hausfreund Eddie (Alexis Kara), der seine schwangere Pattie (Julia Kathinka Philippi) links liegen lässt, aber selbst seinen Platz im Leben nicht findet.

„Schöne Bescherungen“ ist zwar nicht so bitterböse und durchtrieben wie Ayckbourns anderes berühmtes Anti-Weihnachts-Stück, „Frohe Feste“. Aber Folke Braband zeigt, dass mit Gespür für die unerzählten Geschichten dieser zusammengewürfelten Neurotiker:innen doch einige Funken aus dem Text zu schlagen sind. Jedenfalls bekommt Belindas Klage darüber, dass mit den Jahren das schöne Weihnachtsgefühl schwinde, angesichts der zunehmenden Entgleisungen und bröckelnden Lebenslügen einen tragischen Beiklang: „Schade, dass die jetzt mehr und mehr verloren geht – diese prickelnde Aufregung!“

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