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Kultur: Ein wildes Stück Musik: Der Baal im Mann

Schöpferische, wilde, geschundene Kreatur - der Baal von Uwe Schmieder ist ein Treibender und ein Getriebener ein Poet, dem es die Verse gleichsam aus den Gliedern reißt. Susanne Truckenbrodt hat im Orphtheater in der Ackerstraße Brechts erstes großes Stück als eine tänzerisch-musikalische Entladung inszeniert.

Schöpferische, wilde, geschundene Kreatur - der Baal von Uwe Schmieder ist ein Treibender und ein Getriebener ein Poet, dem es die Verse gleichsam aus den Gliedern reißt. Susanne Truckenbrodt hat im Orphtheater in der Ackerstraße Brechts erstes großes Stück als eine tänzerisch-musikalische Entladung inszeniert. Baal-Schmieder beherrscht die Szene auf den nackten Brettern des düsteren Hinterhofsaals. Nach gestischen Exzessen landet er erschöpft und nachdenklich im großen rollenden Sessel, und wenn er den Mädchen und Frauen begegnet, dann hat das Besitzergreifende plötzlich auch etwas ganz Zärtliches, Behutsames. Erotik dieser Art, den ganzen Körper ergreifend und doch auch keusch, ist heute selten auf der Bühne zu sehen.

Wenn das Mädchen Anna seine Unschuld verliert, streift ihr Baal die Hasenohren vom Kopf, wenn ihr Verehrer Johannes ins Dunkel geschickt wird, verliert auch er seinen naiven Putz. Am Ende des zweistündigen Abends entlädt sich die Vitalität in einem Tanz mit dem Freund Ekart, einer stampfenden, zuckenden Huldigung an das Leben.

Der Baal des Orphtheaters, so heißt es in einem Text der Truppe, ist "kein Theater", sondern "ein wildes Stück Musik, das die Amoralität des Mannes Baal über die Grenzen des Theaters hinaustreibt." Diese "orphische", ein wenig verstiegene Selbstinterpretation hindert glücklicherweise nicht daran, dass doch Theater gespielt wird, mit staunenswertem Einsatz, rhythmischer Sicherheit und szenischer Phantasie. Die Musiker (Jens Daniel Dorsch, Jacob Thein) treiben dabei die Abläufe an, Taktschläge treffen die Glieder wie Wurfgeschosse.

Dazu genügen einfachste, zeichenhafte Requisiten - der Sessel, Birkenzweige, schwarze Felle und Mäntel, Perücken. Die kleine Bühne, gestaltet von Holger Syrbe und Thilo Albers, bleibt unverstellt, Kneipe, Abendgesellschaft, Zimmer, Wald stellen die Spieler durch ihre Körper her. Manchmal öffnet sich Baals Welt, durch die aufgerissene Stahltür in den Hof, aber der Kontakt nach draußen, auch durch das vergitterte Fenster hoch an der rechten Seite, erweist sich als mühsam und bedrohlich.

Schmieder zeigt, wie einer Menschen verbraucht und dann sich selbst. Wie einer das Schöpferische aus sich herausreißt und doch den Partner, den Adressaten nicht findet. Wut und Leidenschaft dieses Anrennens gegen eine gleichgültige Gesellschaft kommt wohl auch aus den bitteren Erfahrungen einer freien Gruppe, die kürzlich zwar ihr zehnjähriges Bestehen feiern konnte, aber dennoch dauernd in ihrer Existenz bedroht bleibt. Aber es ist kein ohnmächtiger, sondern ein kraftvoller, mitreißender Zorn. Brechts Baal-Material lädt ja zum umgestaltenden Zugriff geradezu ein, und dieser Einladung ist das Orphtheater gefolgt. Gerade damit nimmt es den jungen Brecht beim Wort.

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