
© PR/Birgit Kaulfüß
Eine Irrwitzige Momentaufnahme: Vulesica bringt neues Stück ans Deutsche Theater Berlin
Anita Vulesica erkundet in „Eine Minute der Menschheit“ das phantastisch-kritische Zukunftsbild des Schriftstellers Stanisław Lem. Im Gespräch mit der Regisseurin.
Stand:
Dass aus ihr einmal eine Regisseurin werden würde, war Anita Vulesica von Anfang an klar. Bis dahin war es aber ein weiter Weg.
Zwanzig Jahre lang stand sie als Schauspielerin auf verschiedenen Bühnen in Jena, Leipzig und Berlin, spielte oft herausragend in ihren Rollen.
Die Regisseurin gab es aber schon vor der Schauspielerin, erzählt sie: „Ich habe mich schon immer, wirklich immer in meiner Schauspielkarriere mit großen Augen und Ohren für das Ganze interessiert. Was ist die Lesart? Das wollte ich immer mitbekommen.“
Als sie 2008 mit ersten Inszenierungen an den Studiobühnen von Schauspielschulen begann, erhielt sie die Bestätigung, dass sie etwas zu erzählen hat und dass sie es kann. Der Rest ist Theater-Geschichte.
Heute inszeniert Anita Vulesica an den großen Theatern in Berlin, Hamburg und Wien. Aber von alleine ging es nicht. „Man kann als Schauspielerin zehnmal sagen, ich glaube, ich habe ein Talent für Regie. Das hört keiner. Erst recht nicht als Frau. Ich habe es dann mit den Studenten so weit gebracht, dass diese Inszenierungen gesehen wurden.“
Ihre 20 Jahre als Schauspielerin betrachtete sie als Lehrzeit, jetzt schöpft Vulesica als Regisseurin aus den Vollen. Die 51-Jährige erschafft ganz originäre Bühnen-Welten, die man so noch nicht gesehen hat. Mit Stoffen, an die sich nur wenige wagen.
Wie etwa „Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh“ des absurden Schriftstellers Georges Perec (mit der Inszenierung wurde sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen), ein Goethe-Sprach-Experiment, das sperrig und undramatisch wirkt – wie auch Stanisław Lems Erzählung, die sie sich nun am Deutschen Theater Berlin vorknöpft.
Anita Vulesica sieht das ganz anders. „,Eine Minute der Menschheit‘ ist eigentlich ein Essay, aber inhaltlich sehr dramatisch. Zu erklären, was alle Menschen innerhalb von einer Minute in dieser Welt so tun, ist zum Scheitern verurteilt. Lem lässt darin ein fiktives Buch rezensieren, das von dieser Minute handelt.“
Solche sperrigen Texte ziehen Vulesica an. „Ich mag es, wenn etwas nicht wie fürs Theater gemacht aussieht, weil ich gerne daran arbeite und herumknabbere, wie ich es formen kann. Aber natürlich muss mich der Inhalt packen. Und dass Lem hochaktuell ist, darüber muss man nicht reden.“

© EIKE WALKENHORST
In Lems Textvorlage drängt sich erst einmal keine Komik auf. Dass Vulesica bierernst inszeniert, ist aber kaum vorstellbar.
In der Inszenierung will sie als Grundkonstellation sieben Experten über das fiktive Buch streiten lassen. Sie kämpft für die Komik im Theater, hat sie vor Jahren mal gesagt. Einfacher geworden ist es nicht.
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„Ich persönlich werde von den Theatern mittlerweile ,eingeladen’, um etwas Komisches zu machen, das habe ich mir erarbeitet. Aber ich empfinde trotzdem, dass die Komödie in Deutschland keinen guten Stellenwert hat. Es ging mir so als Schauspielerin. Das geht mir jetzt auch so, nur dass ich derzeit eben Glück habe und meine Arbeit gemocht wird.“
Die Komödie ist von der Tragödie nicht zu trennen, auch dazu hat Vulesica eine klare Haltung. „Humor und Tragik geschehen immer gleichzeitig. Dieser schmale Grat interessiert mich, und ich glaube ganz fest an die Tiefe und die Verzweiflung der Komödie.“
Den Lem-Abend hat sie ein Jahr lang vorbereitet, sie las seine Texte, schrieb eine eigene Version. „Bei ihm findet man aberwitzige Situationen und Figuren, die wie Bruchpiloten mit ihrem eigenen Kabelsalat klarkommen müssen, in irgendwelchen Raumkapseln leider sehr vergebliche Dinge schaffen müssen, die Menschheit retten oder mit Robotern etwas erfinden.“
Lem sei für sie ein Autor nach der Katastrophe, „ein großer Zweifler und Pessimist, ein Erfinder von Technologie und gleichzeitig ein Warner.“
Als Regisseurin macht sie nur zwei Inszenierungen im Jahr und nimmt sich viel Zeit für die Vorbereitung, damit alles Hand und Fuß hat. „Denn“, so sagt sie zum Schluss, „wenn man den Funken findet, dann überträgt er sich auch.“
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