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Jahrelanger Kampf mit Entwürfen. Elizabeth Bishop.

© Vassar College

Elizabeth Bishop in deutscher Übersetzung: Zarter als die Farben des Historikers sind die des Kartografen

Freier Blick auf eine stille Gigantin: Steffen Popp übersetzt die Gedichte der Amerikanerin Elizabeth Bishop.

Elizabeth Bishop, 1911 in Massachusetts geboren und nach dem frühen Verlust ihrer Eltern bei Verwandten in Nova Scotia aufgewachsen, hat zu ihren Lebzeiten in dem halben Jahrhundert zwischen 1927 und ihrem plötzlichen Tod 1979 exakt 107 Gedichte veröffentlicht – im Schnitt also zwei pro Jahr. Trotz dieses aus heutiger Sicht unvorstellbar gemächlich erscheinenden Publikationstempos wurde sie nicht nur eine der einflussreichsten Autorinnen ihrer Generation, sondern gilt inzwischen als eine der bedeutendsten lyrischen Stimmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Vom National Book Award bis zum Pulitzer Prize hat sie alle wichtigen amerikanischen Auszeichnungen und Stipendien erhalten – manche davon als erste Frau, was ihren Status bezeichnet. Allerdings war sie trotz dieser Anerkennungen lange Jahre die vielleicht unsichtbarste unter den Lyrikgrößen ihrer Zeit. Nicht nur ein poet’s poet, eine Dichterin für Dichter also, sondern, wie John Ashbery einmal treffend schrieb, „a writer’s writer’s writer“. Bishop, die weder populäre Bekenntnislyrik schrieb wie ihr enger Freund Robert Lowell oder dessen weltberühmte Schülerin Sylvia Plath, noch den Dichtern der Beat Generation um Allen Ginsberg nahestand, ist inzwischen, 40 Jahre nach ihrem Tod, dennoch einem breiteren Publikum bekannt geworden.

Als ihre frühe Förderin Marianne Moore sie Mitte der Dreißigerjahre in die amerikanische Lyrikszene einführte, war damit nicht zu rechnen. Denn für den Geschmack der Zeit war ihr Ton zu nüchtern und zurückhaltend, ihr Ausdruck zu einfach, beiläufig und umgangssprachlich, die Gedichte zu sperrig und in keine Schublade zu stecken. Doch hinter dem Lapidaren erkannten die, die es wollten, die Vertiefung ins Detail, die präzise Beobachtungsgabe der Autorin, hinter dem bescheiden dezenten Gestus die analytische Distanz. Gerade das Verschwiegene, die Wortkargheit, das schwer Fassbare ihrer teils bis zum Äußersten verknappten Gedichte, der Blick für das Kleine und Unscheinbare, für Tiere, Kinder und Außenstehende machen das Unverwechselbare des Bishop-Sounds aus.

Ständiger Begleiter Alkohol

Auf Deutsch konnte man Bishop bisher nur in zwei knappen Auswahlen von Margitt Lehbert und Klaus Martens lesen. Nun hat der Lyriker Steffen Popp Abhilfe geschaffen. Für seinen zweisprachigen Band hat er von den 107 Gedichten, die Bishops Ruhm begründeten, die Hälfte ausgewählt, übersetzt und um einige weitere, aus dem umfangreichen Nachlass publizierte Gedichte ergänzt. Ein solches, noch eher unbekanntes Gedicht ist „Ein Trinker“, das mit dem bei Bishop häufigen Feuermotiv einsetzt („Mit drei sah ich das Feuer von Salem …“) und aus dieser traumatischen Kindheitserinnerung – „alles war rot“ – den „schrecklichen Durst“ zu erklären versucht, der in eine lebenslange Alkoholabhängigkeit münden sollte. Wie viele andere Gedichte hinterfragt auch „Ein Trinker“ die eigenen Entstehungsbedingungen. Und so nimmt der letzte Vers wenn nicht alles zurück, so doch dem Gedicht den Charakter der Beichte: „Und alles, was ich Dir erzähle, könnte gelogen sein …“

Nicht einsichtig ist, warum sich Popp in seiner Übersetzung des geschlechtsneutralen Titels „A Drunkard“ für die männliche Form entschieden hat statt für „Eine Trinkerin“, zumal er im Kommentar explizit darauf hinweist, dass es sich hierbei um eines der wenigen Gedichte Bishops handelt, in dem sie ihren eigenen Alkoholismus thematisiert. Der Trinker als Topos scheint mit Hemingway und Co. noch zu männlich besetzt zu sein, als dass sich der Übersetzer trauen würde, ein unverkennbar autobiografisch gefärbtes Gedicht einer Autorin, über deren Gedichte es zudem im Nachwort explizit heißt, es gäbe in ihnen „keinen eindeutig weiblichen oder männlichen Blick“, dafür aber „starke“ feministische Positionen, dass er sich also trauen würde, diese Trinkerin prominenten Alkoholikerinnen wie Patricia Highsmith oder Marguerite Duras an die Seite zu stellen.

Interpunktion war ihr Waterloo

Aber das sind Kleinigkeiten innerhalb jenes Spielraums, den jede Übersetzung erfordert, denn insgesamt ist Popp diese gelungen. Den Erfolg seines Unternehmens muss man messen an der Schwierigkeit des Unterfangens, eine Autorin zu übersetzen, die wirklich alles dafür getan hat, sich in ihren Gedichten nicht festlegen zu müssen, und dabei die Zeichensetzung, vorsichtig gesagt, gerne jenseits der Konventionen handhabte: „Interpunktion ist mein Waterloo“, schreibt sie einmal entschuldigend an ihren Herausgeber beim „ New Yorker“.

Eine erfolgreiche Übersetzung macht nicht aus, dass sie möglichst wortgetreu ist oder die originalen Rhythmen exakt zu übernehmen weiß, sondern dass sie sich dieser prinzipiellen Unmöglichkeit bewusst ist und in diesem Bewusstsein eine überzeugende, aber eigene Interpretation des Originals liefert. Gleich das Eröffnungsgedicht, „Die Karte“, stellt das Können des Übersetzers unter Beweis, wenn ihm in manchen Versen für das Deutsche mal sogar eine elegantere Verknappung, mal ein schwereloseres Fließen als dem Original gelingt. Dass hier und dort auch Wendungen auftauchen, an denen man sich stören mag, ist unvermeidlich, doch alle Fehler mögen jemandem verziehen sein, dem für „Pleasure Seas“ ein so genialer Titel wie „Entzückensmeere“ eingefallen ist.

Bishops Gedichte zu lesen, sei „ein großes Abenteuer, eines der schönsten, auf das man sich in der zeitgenössischen Dichtung einlassen“ könne, schreibt Popp in seinem glänzenden Nachwort. Darüber hinaus bietet ein Anhang kundige, wenn auch manchmal recht kurz geratene Kommentare zu einzelnen Gedichten und informiert über die wichtigsten Kontexte.

Elizabeth Bishop: Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem amerikanischen Englisch von Steffen Popp. Hanser Verlag, München 2019. 352 Seiten, 32 €.

Bastian Reinert

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