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360 Grad. Eine Leinwand umschließt die Zuschauer vollständig.

©  Philine von Düszeln

"Empire of Oil" am Ballhaus Ost: Ein ganz besond'rer Saft:

Tiefenbohrungen am Theater: Das Performance-Kollektiv Costa Compagnie widmet sich mit der Trilogie „Empire of Oil“ im Ballhaus Ost dem begehrtesten Rohstoff der Welt.

Es war zu Zeiten des zweiten Golfkriegs Anfang der 90er Jahre, als man viele junge Menschen auf Demonstrationen mit Transparenten sehen konnte, die die Parole „Kein Blut für Öl!“ in die Welt riefen. Wo das schwarze Gold fließt, so das Diktum, geht es nicht um militärische Ziele. Sondern nur ums Geld. Zu einem ähnlichen Schluss gelangt das Performance-Kollektiv Costa Compagnie in seiner Trilogie „Empire of Oil“ – mit dem Unterschied, dass die Gruppe einen durchaus komplexeren Weg beschreitet, um das Geflecht von Bohrungen und Brandherden, von Ökonomie und Ökologie zu durchleuchten.

Das in Hamburg und Berlin ansässige Kollektiv ist nach Norwegen und in den Irak gereist, um mit Menschen zu sprechen, deren Leben auf sehr verschiedene Weise von den globalen Ölspuren gezeichnet ist. Seit November vergangenen Jahres haben die Künstlerinnen und Künstler um Leiter Felix Meyer-Christian aus dem gewonnenen Material bereits einen Film und eine essayistische Performance entwickelt. Mit dem dritten Teil, einer Choreografie unter dem Titel „An Infinite Ending“, findet die Unternehmung jetzt im Ballhaus Ost ihren Abschluss. Wobei anlässlich der finalen Premiere die Trilogie noch einmal im Gesamten zu erleben ist.

Erfreulich, denn „Empire of Oil“ zählt, im Gelingen wie im Scheitern, zu den interessantesten Freie-Szene-Produktionen der jüngeren Vergangenheit. Besonders der erste Teil, „A Research in 360°“, fächert ein bemerkenswertes Panorama auf. Der Dokumentarfilm wird auf eine Leinwand projiziert, von der die Zuschauer umschlossen sind. Als Inspiration diente der Rundhorizont von Hendrik Willem Mesdag von 1881, ein Gemälde, das heute noch in Den Haag das 360-Grad-Erlebnis von Strand und Nordsee ermöglicht. Der Perspektivreichtum, auf den die Costa Compagnie zielt, wird so schon technisch beglaubigt. Ergänzend kann man sich, im zweiten Stock, eine 11-minütige Mittendrin-Erfahrung per Virtual-Reality-Brille verschaffen. Da steigt man die endlose Leiter auf einer Förderplattform hinab, steht neben patrouillierenden Soldaten an einer staubigen Straße in Mossul, blickt auf zerklüftete Landschaften in einer Region, die wir den Mittleren Osten nennen.

Schade, dass natürlich der Greenpeace-Aktivistin die Tränen kommen

„A Research in 360°“ sucht den größtmöglichen Kontrast der Regionen. In Norwegen, wo Ende der 60er Jahre jenes Ölwunder begann, das noch heute über ein Fondssystem den Sozialstaat sichert, treffen die Costa-Künstler unter anderem den Offshore-Manager einer großen Ölfirma. Einen irakischen Geologen, der im hohen Norden im staatlichen Auftrag sein Förder-Knowhow eingebracht hat. Sowie eine Greenpeace-Aktivistin, die analysiert, dass sich „hinter den meisten sozialen Konflikten ein ökologischer Grund“ verberge, und die auch – gendermäßig etwas bedauerlich – die gefühlige Seite des Umweltschutzes verkörpert, weil ihr beim Anblick von Seevögeln neben Bohrplattformen immer die Tränen kommen.

Im Irak hingegen landen die Künstler und mit ihnen die Zuschauer sogleich im Spannungsfeld der Konflikte zwischen US-Interessen, Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung sowie den Umtrieben des IS. „In Kirkuk“, heißt es einmal, „riecht es nach Öl.“ Und wo der Komplex der Machtansprüche so existenzielle Dimensionen annimmt, da besitzen Fragen nach dem Klimawandel oder den Verheerungen durch Bohrungen in der Arktis wenig Relevanz.

Der zweite Teil – die Performance „Underground Frontier“ – versucht das Thema dann in postkoloniale Sphären zu weiten, hin zu Fragen wie: Wem gehört das Land, wem der Untergrund, wer besitzt die Ressourcen? Die Performerinnen Maria Walser und Julia B. Laperrière verhandeln sie vor ineinander fließenden Aufnahmen wiederum aus Norwegen und dem Irak, wobei anders als im Film die systemische Verbindung zwischen den beiden Ländern sehr angerissen bleibt. Klar, die Globalisierung lässt alles zirkulieren, nicht nur das Öl. Da fragt man sich schon, was ein Dokumentarspezialist wie Hans-Werner Kroesinger an Erkenntnissen herausdestilliert hätte. Nichtsdestotrotz hat auch dieser Teil seine lichten Momente – etwa, wenn ein Scheich aus Mossul zitiert wird, der angesichts des ersten Ölbooms in weiser Voraussicht gestöhnt haben soll: „Ich wünschte, wir hätten Wasser gefunden.“

Nebulös im wahrsten Sinne schließlich bleibt der Tanz, „An Infinite Ending“. Lea Martini und Julia B. Laperrière schaffen im künstlich zugedampften Ballhaus Ost zwar einige starke Momente von Verausgabung, Anrennen, Gefangensein im Kreislauf – aber ohne den Zusammenhang der Trilogie würden die letztlich in Ratlosigkeit verpuffen. Dabei hat „Empire of Oil“ eine klare Message: das eigene Konsumverhalten und mithin die eigene Abhängigkeit vom begehrtesten Rohstoff der Welt zu hinterfragen.

noch einmal an diesem Samstag, 26. Mai, 18 Uhr (Teil 1), 20 Uhr (Teil 2), 21.30 Uhr (Teil 3)

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