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Was machen wir heute?: Entschuldigt sein

West-Berlin war einmal eine „Inselstadt“. Der Ost-Berliner nahm das zur Kenntnis und zog den Schluss, dass er dann wohl im Meer wohnen müsse.

Von David Ensikat

West-Berlin war einmal eine „Inselstadt“. Der Ost-Berliner nahm das zur Kenntnis und zog den Schluss, dass er dann wohl im Meer wohnen müsse. Ost-Berlin hat sich aber anders angefühlt, weniger algig, mehr staubig, gar nicht blau, eher grau.

Wird eine Insel durch etwas anderes zur Insel, als durch das umgebende Wasser? Von der Inselstadt aus selbst mochte man das ermessen; der Ost-Berliner aber hatte keine Möglichkeit, die Inselhaftigkeit West-Berlins zu erleben. Er konnte immerhin auf eine der DDR-eigenen Ostsee-Inseln fahren – am liebsten nach Hiddensee, denn der Ost-Berliner, wie der Ostmensch überhaupt, orientierte sich am Gesetz der Mangelattraktion; auf Hiddensee mangelte es noch mehr als auf Usedom und Rügen an Unterkünften, deshalb wollten alle nach Hiddensee.

Urlaub auf Hiddensee, das war beinahe so begehrt wie die Genehmigung zum Kurzbesuch anlässlich von Onkel Edgars 60. Geburtstag in Neukölln hinter der Mauer. Während man aber in Neukölln lernte, dass Onkel Edgar bei Aldi einkaufen ging und nicht bei Kaiser’s, und dass nicht alle Westhausfassaden aussahen, wie man es dem goldenen Westen zugetraut hatte, wurde auf Hiddensee immerhin das Meerwasser nicht knapp, und bei klarem Wetter konnte man am Westhorizont die Insel Moen erblicken, Dänemark, und sich denken: Da baden sie eigentlich im selben Wasser wie wir hier.

Warum ich das schreibe und nicht, wie ich „die Stadt erlebe“? Weil ich kürzlich auf Hiddensee war, nach wenigen Tagen wieder zurückwollte, um noch schnell die Stadt zu erleben – und nicht konnte. Aus dem Westen blies ein so heftiger Wind, dass die Fährmänner ihren Fähren nicht mehr trauten. Da lief ich zum Leuchtturm hoch, wo ein Fernsehmeteorologe seine Fernsehkamera aufgebaut und festgetaut hatte, davor kniete und gegen den Westwind ins Puschelmikro brüllte, dass der Westwind heftig bläst. Ich dachte: Das können sie in der Stadt im Fernsehen sehen, ich bin entschuldigt und schreib dann auf, „wie ein Ost-Berliner die Insel erleben kann“. David Ensikat

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