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Quälende Nähe. Mojca Erdmann (Marquise de Merteuil) und Thomas Oliemans (Vicomte de Valmont)

© Monika Rittershaus

Erste Saisonpremiere der Staatsoper: Die Visionen der Marquise von M.

Perverse Gefechte: Daniel Barenboim und Barbara Wysocka wagen sich Unter den Linden an Luca Francesconis Musiktheater „Quartett“.

Von Mozart und Wagner kann er nie genug bekommen. Zu Ostern wollte Daniel Barenboim seinen x-ten Da-Ponte-Zyklus mit „Figaro“, „Don Giovanni“ und „Così“ starten, was coronabedingt verschoben werden musste, ab Herbst nächsten Jahres wird der Maestro an der Staatsoper zum wiederholten Male den „Ring des Nibelungen“ herausbringen.

Doch er igelt sich nicht vollkommen ein im Kosmos seiner Lieblingswerke, zwischendurch konfrontiert er sich und seine Verehrer auch mit aktueller Musik. Die Pflege der Werke seines Freundes Pierre Boulez hat sich Barenboim zur Lebensaufgabe gemacht, er vergibt Aufträge an jüngere Künstler und spielt auch mal anderswo erfolgreich uraufgeführte Stücke nach. So wie jetzt Luca Francesconis „Quartett“.

2011 kam die Oper des 1956 geborenen Italieners an der Mailänder Scala heraus und ist seitdem zwischen Buenos Aires und Warschau gezeigt worden. Die deutsche Erstaufführung der originalen, englischsprachigen Fassung wagte Dortmund im vergangenen Jahr, um zur Saisoneröffnung ein wenig Exklusivität bieten zu können, ist „Quartett“ Unter den Linden nun in deutscher Übersetzung zu sehen.

Die Oper basiert auf Heiner Müllers "Quartett"

Obwohl nur zwei Solisten beteiligt sind – Basis ist Heiner Müllers Theaterstück, das sich wiederum auf den spätbarocken französischen Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ bezieht – muss Daniel Barenboim bei der Premiere am Tag der deutschen Einheit jede Menge koordinieren: Neben dem kleinen Instrumentalensemble im Graben gibt es Zuspielungen eines Fernorchesters, Chorgesang aus dem Off, außerdem wirken Spezialisten vom Pariser Experimental-Institut Ircam mit, die den Live-Gesang teilweise elektronisch überformen und mittels Lautsprechern im Zuschauerraum eine zusätzliche Klangkulisse entstehen lassen können.

Daniel Barenboim.
Daniel Barenboim.

© Michael Kappeler/dpa

Francesconis Komposition klingt genau so, wie sich Verächter zeitgenössischer Musik die Karikatur einer „modernen Oper“ vorstellen: Orchestral herrscht ein scheinbar planloses Durcheinander mit schnalzenden Kontrabässen, Glöckchengeklingel, schneidendem Blech, sägenden Streichern, grell pfeifender Flöte und jeder Menge Schlagwerk, dazu kommen technoide Geräusche vom elektrischen Knistern bis zum Kurzschlussknacken. Der Text wird von den Darstellern entweder abgehackt gesprochen, oft mit rhetorisch bewusst „falscher“ Betonung, deklamatorisch gesungen oder in höchsten Lagen skandiert.

Was Mojca Erdmann als Marquise Merteuil und Thomas Oliemans als Vicomte Valmont rein handwerklich an diesem Abend leisten, ist beeindruckend: Denn es gilt nicht nur, die schier endlose Dialoge zu beherrschen, sondern sie auch noch in vokale Linien umzusetzen, die keinerlei tonale Haltepunkte kennen. Heiner Müllers Theaterstück von 1981 ist ein Rededuell – und damit denkbar ungeeignet für die Oper. Szenenwechsel gibt es nicht und auch fast keine Handlung, sieht man von den Rollenspielen ab, bei denen sich die Protagonisten kurzzeitig ins andere Geschlecht hineinversetzen.

Auf den Schultern des Inszenierungsteams liegt eine schwere Last

Weil sich Luca Francesconi aber der musiktheatralischen Grundvoraussetzung verweigert, nämlich die Buchstabenfolge des Librettos emotional auszuformen, bleibt seine Partitur ein Textverarbeitungsprogramm. Damit delegiert er die schwere Aufgabe, aus den papiernen Figuren lebendige Charaktere zu formen, deren wortreiche Gefühlsentblößungen die Zuschauer berühren, auf den Schultern des Inszenierungsteam.

[Weitere Aufführungen am 8., 10. und 18. Oktober.]

Grau ist die dominierende Farbe in der Ausstattung von Barbara Hanicka, eine Halbkugel dominiert die Bühne, die an Mario Merz’ Iglu aus dem Hamburger Bahnhof erinnert, allerdings von Anselm Kiefer aus Bleiplatten zusammengelötet. Ein paar Pappkartons, schwarze Stühle, das sind alle Requisiten, dazu kommen – natürlich – Projektionen, zum Beispiel von einem aufsteigenden Atompilz. Eine Tänzerin sorgt pantomimisch für Bewegung, zieht sich mal aus, räumt dann wieder auf, damit wenigstens im Hintergrund etwas passiert.

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Regisseurin Barbara Wysocka hat sich nämlich auf die Interpretation versteift, dass sich die Handlung lediglich im Kopf der Marquise abspielt. Das ganze dekadente, perverse, zynische Wortgefecht, alles nur die letzte Vision einer seelisch Zerrütteten, die an der Langeweile ihres privilegierten Daseins zugrunde geht. Die akustisch auskomponierte Beischlafszene findet bei Wysocka darum nun ebenso wenig real statt wie die im Libretto vorgesehene Vergiftung des Vicomte.

Nach der Uraufführung an der Mailänder Scala hatte der Komponist die dortige Inszenierung des Fura dels Baus-Mitbegründers Alex Ollé als „nicht grausam genug“ kritisiert und sich erhofft, dass die Optik bei weiteren Produktionen doch bitte „radikaler“ ausfallen möge. An der Staatsoper wird ihm dieser Wunsch nicht erfüllt.

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