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Kultur: Es spukt im Schloß auf dem Montblanc

Wenn Wahn und Witz sich in so wundersamer Balance treffen wie in dieser Inszenierung, dann funkeln Geistesblitze.Der helle Wahnwitz gerät zum Entertainment mit tieferer Bedeutung.

Wenn Wahn und Witz sich in so wundersamer Balance treffen wie in dieser Inszenierung, dann funkeln Geistesblitze.Der helle Wahnwitz gerät zum Entertainment mit tieferer Bedeutung.Das ist unvorhersehbar bei einem Stück wie "Don Juan und Faust" von Christian Dietrich Grabbe, dem armen, im Literaturarchiv begrabenen Genialiker aus Detmold (1801-1836).Heinrich Heine pries ihn treffend einen "betrunkenen Shakespeare".Neuerdings beschäftigt Grabbe die Köpfe der nach Raritäten fahndenden Dramaturgen.Und wahrhaftig, als giftiger Postklassiker im Schatten der Weimaraner, als Selbstverwirklicher, zerbrochen an Suff und Unglück, scheint er ausgezeichnet zu passen in unsere Postmoderne.In Hamburg hat sich die Regisseurin Thirza Bruncken versucht an "Don Juan und Faust", dieser Doppelung zweier Männermythen, sie scheiterte respektabel.Verständlich für jeden, der sich durch das Textgebilde pflügt, wo eine Wichtigkeit die andere überholt bis zur Auslöschung.Dazwischen irrlichtern Geist, Hohn, Poesie.

Im Münchner Residenztheater, wo Anselm Weber das Stück inszenierte, steht am Bühnenportal geschrieben: "Zertrümmern, mit den Trümmern ein Trümmerwerk erbaun, das kann der Mensch." Wahrhaftig ein Stückzitat aus Fausts hochrasendem Gedankengetürm.Dann stürzt ein eleganter Don Juan im Straßenanzug vor den römischen Palazzo, schraubt sich hoch in seine Liebe zu Donna Anna, die morgen den braven Octavio heiraten wird.Sein komisch kugelrunder Leporello strampelt geil an der Fassade empor.Don Quichotte und Sancho Pansa, zwei abenteuernde Gesellen, sind unterwegs, entlassen mächtiges Wortgetön.Wer glaubt, die Schöne verweigere sich (getreu der Legende), sieht sie ihr Ärmchen aus dem Fenster hangeln, bis Juan mit einem Hüpfer Handküßchen gibt.Verdutzt schaut Markus Boysen, der Don Juan, ins Publikum: Hätte den gierigen Absahner ein wahres Gefühl berührt? Blitzschnell inszenieren die Kumpane einen florettrasselnden Krawall, Octavio erlischt.Dem herbeieilenden Gouverneur (Komtur) aber nennt der freche Juan den ebenfalls in der Stadt weilenden bleichen Magier, den Faust, als den Schänder seiner und Annas Ehre.Die spanischen Ehrpussler rasen davon, der von sich überwältigte Juan leistet sich eine kleine Kleistsche Ohnmacht.

Das alles hat gerade eine helle schnelle halbe Stunde gedauert.Dann dreht sich die hölzerne Fassade, enthüllt im finsteren Bühnenschlund eine Wüste aus Gestänge, Brettern und - eine Gammlerbank.Wahrhaftig, da lungert Faust, ein flattriger Geselle mit Knotenstock, und steigt, als nehme er Stufe um Stufe, Wort für Wort hinauf in das unsägliche Getürm seines Weltenwahns.Edgar Selge ist ein famoser Worttänzer, wie ein Studienrat skandiert er drohenden Blickes Wort für Wort.Eine aberwitzige Kette von Hochsinn, Blähungen, vaterländisch teutonischem Bekenntnis, das es nicht verkraftet, daß unser deutscher Rhein in niederländischen Niederungen versackt.Der Himmelsturm eines Kurztreters als monströses Sprachgewirk.Wahn und Witz sind eins.

Verblüfftes Gelächter im Auditorium, doch kein - so naheliegender! - Absturz in die Parodie.Die bizarre Ernsthaftigkeit, die sich selbst aushöhlt, enthüllt sich als Geist von Grabbes Geist: Einstürzende Denkmäler, die gleichwohl größer sein wollen als die Vorbilder.

Es wäre einfach, das Gelingen dem Protagonisten-Duo Edgar Selge und Markus Boysen (beide als Gast am Haus) zuzuschreiben.Sie sind exzellente Sprachsinn-Spieler, sie sind witzig elegante Schautänzer ihrer Figuren.Anselm Weber und sein Bühnenbildner Raimund Bauer siedeln das unmäßige Stück in einer Atmosphäre an, die man als die Ambivalenz von Schein und Sein benennen kann.Gigantomanie und Absturz in ständigem Wechsel, dazwischen eine Ahnung von Wahrhaftigkeit.Schon die Bühne zeigt sich als Wahngebilde fern jeglicher Illusionistik.Am tollsten in dem Schloß auf dem Montblanc, das Faust sich flugs hinzaubern läßt für seine Beute, Donna Anna.Hinter üppigen, von Licht durchzuckten Panorama-Scheiben lagern riesige gipserne Antikenfragmente, ein Zerrbild des berühmten Münchner Aeginetenfrieses.Drehen sich die Monster nach vorn, lagern die Kontrahenten, die Liebhaber und der eifernde Doktor, drauf wie im Herrenclub.Im schwarzweißen Schneesturm reden sie sich von der Liebe kopfüber in die Hölle.Alles Theater, und ein bißchen mehr.Nämlich Selbstzerstörung zweier Nimmersatter, der eine im Fleisch, der andere im Hirn.Am Ende kommt einen Gruseln an, sogar Mitleid.

Schautheater auch dies: Da Grabbes jähe Dramaturgie kaum Entwicklungen zeigt, die Figuren vorwiegend mit sich selbst monologisieren, läßt Anselm Weber den Don Juan und den Faust konsequent an der Rampe agieren.Das reale Publikum ist ein imaginäres Publikum ist der Spiegel ihres Selbstwahns, dem der entrückte Blick gilt.Selbst Anna, das Objekt von beider Liebe, bei Anne-Marie Bubke ein schönes, selbstbewußtes Mädchen, wirkt manchmal wie ein Schemen.Zwar spielt Boysen hinreißend lässig den handgreiflichen Verführer, aber die Begegnungen scheinen umflort wie von einem melancholischen Traum.Und Faust hat Anna längst getötet mit dem Schwall übersinnlich-unsinnlicher Rede, bevor er sie von seinem höllischen Knecht einfach abräumen läßt.Wie Selge diese faustische Idee von Liebe spielt, mit entflammter Zunge, ohne dabei das Mädchen je richtig anzurühren, ist das der tragikomische Veitstanz eines Autisten.Und ein graziöses Clownsstück dazu.

Der klare, überkandidelte Scharfsinn der Inszenierung reicht bis zu den Nebenrollen.Niemals lacht man Figuren aus, eher, ganz im Sinne Grabbes, ein Lachen trauriger Desillusion.Als Leporello und der schwarze Ritter (Mephisto) erweisen sich Uwe Bertram und Ingo Hülsmann als starke, eigenwüchsige Comic-Partner ihres jeweiligen Herrn.Triumphierend inszeniert Hülsmann, ein strahlend ordinärer Satansbrocken, die finale Höllenfahrt.Faust, ein Gescheiterter, geht aus freien Stücken, um - wenigstens das - Annas Seelchen vor Teufelskrallen zu bewahren.Don Juan trumpft beim Gastmahl mit dem gipsernen Gouverneur nochmal groß auf - ein Agnostiker, der lieber explodiert, als zwei (Lust-)Morde zu bereuen.Ein finsterschöner Theaterspaß.

Wieder am 12.und 17.Mai, 19 Uhr.

INGRID SEIDENFADEN

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