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Kultur: Extremlogiker unter sich

Daniel Kehlmanns erstes Theaterstück „Geister in Princeton“ im Renaissance-Theater.

„Wie schaffen Sie das?“, fragt Albert Einstein kopfschüttelnd den Kollegen, „alles scheint stringent, aber wer Ihnen zuhört, glaubt, er ist betrunken.“ Genies unter sich – da kann es schon mal zu mittelschweren Denkräuschen kommen. Es ist Kurt Gödel, mit dem Einstein spricht, jener österreichische Extremlogiker, der als Verfasser eines herausfordernden mathematischen Axioms und eines ebenso komplexen Gottesbeweises nicht nur die Normalhirne überstrapazierte. Und dessen eigener Verstand auch jenseits der Wissenschaft Purzelbäume schlug.

Gödel litt unter Paranoia und glaubte sich von Gespenstern umgeben. Der Geisterseher und der Relativitätstheoretiker begegnen sich im Exil in Princeton. Sie reden über die Möglichkeit von Zeitreisen und Gödels bevorstehenden Einbürgerungstest. Über die vereinheitlichte Feldtheorie und Einsteins Angewohnheit, keine Socken zu tragen. Physik und Kleiderfragen können halt so nahe beieinanderliegen wie Genie und Wahn.

„Geister in Princeton“ hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann sein dramatisches Debüt genannt, mit dem er frei an das Prinzip seines Megaerfolgsromans „Die Vermessung der Welt“ anknüpft. Wo er im Buch die Wege der wesensverschiedenen Forscher Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß zwischen Dichtung und Wahrheit kreuzte, entwirft er nun für die Bühne eine weitere Wissenschaftler-Biografie, die vom Boden der Realität in die Sphäre bildungsmunterer Fiktion abhebt. Wobei er sich mit dem 1906 geborenen Kurt Gödel einen eher abseitigen, heute beinahe vergessenen Großgeist ausgesucht hat, der lebenslang quer zu seiner Zeit stand.

Gerissen haben sich die Theater nicht gerade um dieses Stück. Wohl auch, weil Kehlmann sich mit seiner Salzburger Tirade wider das Regietheater und die Unsitte des Spaghettiessens auf der Bühne selbst ins Hipness-Abseits des Betriebs manövriert hat (siehe Tagesspiegel vom 7.1.). Weshalb nach der Grazer Uraufführung nun das Renaissance-Theater die Deutschland-Premiere der Groteske mit ernstem Grundton besorgen durfte.

Die Dialoge sind pointiert, überhaupt besitzen Kehlmanns Sätze oft pfiffige Eleganz. Wie Gödels Ausspruch: „Ich denke, wenn man etwas zu sagen hat, sollte man einen Beweis haben. Es ist zu viel Meinung in der Welt.“ In der Umsetzung allerdings, die am Renaissance-Theater Regisseur Torsten Fischer vornimmt, offenbart der Text doch einen Mangel an theatraler Qualität. So sehr man Kehlmann beipflichten will, wenn er den Begriff des „well made play“ gegen den Schmähbeiklang hierzulande verteidigt – „Geister in Princeton“ ist so „well made“ nicht.

Kehlmann greift Gödels Annahme auf, wonach Zeit überhaupt nicht existiert und verwirrt die Chronologie des Geschehens bis über den Tod hinaus. Da tritt Gödel nicht nur teils parallel als Erwachsener (Heikko Deutschmann), als Kind (Benno Lehmann) sowie als sein Alter Ego (Dimosthenis Papadopoulos) auf, sondern spaziert schon zu Beginn als Kommentator über das eigene Begräbnis. Dieses Ebenen-Hopping macht allerdings den dramatischen Bogen zunichte. Wo es kein Hier und Jetzt gibt, ist alles und nichts zugleich möglich.

Das Stück ist mehr Szenenfolge als Erzählung. Ein Stationenritt ohne Halt. Gödel heiratet die ehemalige Nackttänzerin Adele, die ihm das Essen vorkostet und die Mutter ersetzt, weswegen Katja Bellinghausen beide Frauen verkörpert. Er kommt in Kontakt mit prominent-verquasten Vertretern des Wiener Kreises wie Moritz Schlick (Michael Rastl), Hans Hahn (Horst Schultheis) oder Otto Neurath (Boris Aljinovic). Er muss in die USA emigrieren, weil die Nazis jeden Mathematiker für einen Juden halten und landet in Princeton. Er trifft John von Neumann (Philipp Alfons Heitmann) und Albert Einstein (Gerd Warmeling). Er verhungert schließlich, weil die Vergiftungsphobie überschießt. Was Hauptdarsteller Heikko Deutschmann nicht eben plausibel macht. Der findet generell wenig Zugang zu diesem Kauz. Und steht mit seiner Figurenmühe nicht allein.

Regisseur Fischer hingegen inszeniert auf einer kleinholzbedeckten Bühne (Vasilis Triantafillopoulos) mit wenigen Stühlen und rückwärtigem Spiegel vor allem das Drama eines Exilanten im unbehausten (Denk-)Raum. Das ist ein sympathischer Ansatz, man hätte den belesenen Kalauern aber viel mehr Zucker geben können. Was die Vorlage schuldig bleibt, kann auch Fischer letztlich nicht entfesseln: den Rausch der Logik.

Wieder 10. bis 14.1., 20 Uhr, 15.1., 18 Uhr

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