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Michael Volle (hier mit Barbara Frittoli als Alice Ford) gibt sein Debüt als Falstaff.

©  dpa/Christophe Gateau

"Falstaff" an der Berliner Staatsoper: Eine Ruine macht noch keinen Kit Kat

In dieser Partitur gibt es keine Gemütlichkeit: Verdis „Falstaff“ bei den Festtagen der Berliner Staatsoper – mit Michael Volle in der Titelrolle.

Es stand ja zu befürchten, dass das Jubiläum der 68er-Bewegung irgendwann einer Theaterinszenierung als Staffage dienen würde. Nun ist das überraschenderweise bei den prestigebedachten Festtagen der Staatsoper geschehen, mit Giuseppe Verdis „Falstaff“. Sein ramponierter Held steckt mit prallem Bauch fest zwischen zwei Welten: der untergehenden, in der er mit Rückendeckung von ganz oben prassen konnte, als gebe es kein Morgen – und der eines erstarkenden Bürgertums, das seine materiellen Erfolge per Moraldiktat beisammenhalten will. Beileibe keine angenehme Lage. Kein Wunder, dass „Falstaff“-Deutungen meist einen Schlag ins Melancholische haben.

Mario Martone, 58, erfolgreicher italienischer Regisseur für Film und Oper, entdeckt in dem Shakespeares Dramen entliehenen Sir John Falstaff einen Veteranen von ’68, der mit Herbert Marcuse „die Phantasie an die Macht“ bringen wollte. Im Gegensatz zu vielen seiner einstigen Mitstreiter attestiert Martone seinem Falstaff, noch immer ein freigeistiger Hippie zu sein und häufig „glücklich“ betrunken dazu. So hat er sich Vitalität und Intelligenz erhalten können, bereit für jeden Spaß kulinarischer oder erotischer Natur. Das macht ihn zum Mittelpunkt in einem von Graffiti übersäten Hinterhof, in dem inzwischen die nächste Generation mit dem Sprühen von Transparenten beschäftigt ist. Das Tuch, auf dem „Refugees welcome“ steht, wird schnell beiseite geräumt. Die „No war“-Aufschrift darf etwas länger im Blick bleiben. Man droht einander auch mal mit dem Baseball-Schläger, aber natürlich nur ganz sachte.

"Falstaff" ist ein ganz unwahrscheinliches Opernwunder

Wenn sich ein Langweiler wie Dr. Cajus in seinem rentnerbeigen Anzug in diese Idylle verirrt, die selbstredend auch nach Rotlicht-Lotterleben riecht, hat er selber Schuld, wenn er danach sein Geld los ist und echt peinlich nach rechtschaffenen, gläubigen Menschen greint. So könnte das wohl noch endlos weitergehen in Martones Großstadtstadl, wenn Falstaff es nicht überdrüssig würde, auf einer Bierbank liegend zu lesen und aus der Flasche Wein zu trinken. Durch einen bekifften Fahrradkurier lässt er zwei Bürgerinnen gleichlautende eindeutige Avancen zustellen. Er konnte ja nicht ahnen, wie hyänenhaft sich gelangweilte Freundinnen um die 50 auf seine Anzüglichkeiten stürzen würden – natürlich in heller Empörung.

Verdis „Falstaff“ ist ein ganz unwahrscheinliches Opernwunder, der Nachsatz eines greisen Komponisten, der sein Leben der blutigen Unausweichlichkeit des Dramas gewidmet hat. Plötzlich soll es überwunden sein in der Erkenntnis, dass ohnehin alles ein Witz ist auf Erden. Der Fatalismus aber hat nur sein Gewand gewechselt, Verdis Menschenbild, das uns geringe Handlungsspielräume zugesteht, erscheint lediglich in anderer Ausleuchtung. Das Brodeln im Orchestergraben könnte jederzeit wieder schicksalhaft hochkochen, das Lachen hat Schärfe, die Ensembles sind von rasender Attacke. In dieser glasklaren Partitur gibt es keinerlei Gemütlichkeit. Diese widerständige Form von Altersweisheit wird Daniel Barenboim gereizt haben, als er sich zum 75. Geburtstag sein „Falstaff“-Debüt geschenkt hat. Zu Beginn ist das Spiel der Staatskapelle noch nicht voll ausgehärtet und wogt im Graben, wo es sticheln müsste. Dann setzt sich ein überaus gepflegter Tonfall durch, der weitgehend den Vulkan vergisst, auf dem man hier musikalisch sitzt.

Und Falstaff? „Er ist ein Typ! Es gibt so vielerlei Typen!“, notiert Verdi. Und mahnt zugleich: „Die Oper ist vollständig komisch!“ Einen echten Typ bietet die Staatsoper mit dem Rollendebütanten Michael Volle auf. Ein Saft-und-Kraft-Sänger, ein Mann des Hier und Jetzt, dem Gedanken an den Herbst fremd sind. Volle braucht auch keinen Theaterbauch, er spielt mit dem, was er hat. Interessant aber, dass es nicht das Volumen ist, das seinen Falstaff auszeichnet, sondern seine stimmliche Wendigkeit. Wie ein korpulenter Mensch, der sich leichtfüßig bewegt, zieht Verdis alter Ritter eine berührende Grazie aus der Beweglichkeit seiner Stimme. Und hier stößt selbst ein Volle an seine Grenzen. Großartig Daniela Barcellona, die Registerwechsel nicht nur rasant beherrscht, sondern damit auch noch spielen kann. So schafft sie es, als Mrs. Quickley die einzige Figur mit einer bewegenden Geschichte auf der Bühne zu werden. Barbara Frittolis hochgeschlitzte Eheretterin Alice Ford muss sich da samt verdruckster SM-Phantasien geschlagen geben, Katharina Kammerlohers Meg Page besteht vor allem aus weit aufgerissenen Augen.

Verdis Forderung nach umfassender Komik wird im Finale auf die härteste Probe gestellt, wenn die entfesselten Bürger Falstaff die Leviten lesen. Das könnte aufregend zwischen Johannisnacht und Sommernachtstraum pendeln. Regisseur Martone aber will Kit Kat Club zwischen sündhaft teuren Bühnenbildruinen – und weiß dann nichts damit anzufangen. Ein Spießerblick vorm Blackout. Wenn man über einiges hinwegsieht, kann man an diesem „Falstaff“ auch Spaß haben. Eine Komödie aber bezieht ihre Würze aus dem ganz genauen Hinschauen, sonst bleibt sie Schwank.

Weitere Vorstellungen am 28. März und 1. April sowie im Dezember

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