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Kultur: Fischers Vergangenheit: Von der Faszination der Gewalt - Wie die linke Szene gegen die Staatsmacht kämpfte

Es hatte die große Schlacht werden sollen. Monatelang bereiteten sich die Frankfurter Spontis vor, damals, im Frühjahr 1973.

Es hatte die große Schlacht werden sollen. Monatelang bereiteten sich die Frankfurter Spontis vor, damals, im Frühjahr 1973. Die Gruppe um Joseph Martin Fischer übte Nahkampf im Wald, trainierte mit Knüppeln und in Formation. Ein "Räumungsmoratorium" des Magistrats lief im März 1973 aus. Als erstes zu räumendes Gebäude war ein besetztes Haus im Kettenhofweg 51 an der Reihe. Doch diesmal wollten die Besetzer nicht weglaufen. Diesmal wollten sie zurückschlagen. Sie taten es an jenem 7. April 1973 so effektiv, dass die Polizei später vom Kampf "Mann gegen Mann" sprach. An vorderster Front dabei: Die so genannte "Putzgruppe" von Joschka Fischer, jener Zusammenschluss, der vorher im Wald geübt hatte.

Von dieser Schlacht stammen die Fotos, die der "Stern" gestern in seiner neuen Ausgabe veröffentlichte. Sie zeigen mehrere Demonstranten mit Helmen, die auf einen Polizisten einschlagen und -treten. Als einen Aktivisten identifiziert der "Stern" den heutigen Außenminister Joschka Fischer: mit schwarzem Motorradhelm, in Schlägerhaltung. "Ja, ich war militant", sagt Fischer dazu. "Wir haben Häuser besetzt, und wenn die geräumt werden sollten, haben wir uns gewehrt. Wir haben Steine geworfen."

Frankfurt am Main war damals das Zentrum der linken Bewegung, noch vor Berlin. In Frankfurt zündeten Andreas Baader und Gudrun Ensslin im April 1968 zwei Kaufhäuser an, in Berlin wurde im gleichen Monat Rudi Dutschke erschossen. Als Reaktion flogen die ersten Molotow-Cocktails. Die Studentenbewegung begann, ihre Ziele auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Zwei Jahre später riefen Baader, Ensslin und andere zur Gründung der "Roten Armee Fraktion" auf. Auch die "Revolutionären Zellen", die zweite deutsche Stadtguerilla-Gruppe, wurde in Frankfurt gegründet. Ab 1973 verübten die "RZ" Bomben- und Brandanschläge gegen "imperialistische Einrichtungen". Fischers Freund Hans-Joachim Klein, der einer der Streetfighter auf den Häuserkampf-Fotos sein soll, schloss sich Mitte der 70er Jahre den "RZ" an. "Klein-Klein", so sein Szenename, nahm 1975 schließlich am Anschlag auf die Opec-Tagung teil. Klein steht deshalb zurzeit vor Gericht; am 16. Januar wird sein Ex-Genosse Fischer als Zeuge aussagen.

Die Genossen im Untergrund übten auch für Fischer und die Frankfurter Gruppe "Revolutionärer Kampf", der er angehört, eine Anziehungskraft aus. Jahrelang diskutierten die Frankfurter über die "Faszination revolutionärer Gewalt", wie Fischer es heute nennt. Die Feindschaft gegenüber diesem Staat sei "nicht mehr nur eine Frage der Theorie", "sondern wo man ganz praktisch den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung wollte", sagt der Minister heute.

Während die radikale Linke politisch in einer Krise steckte, die RAF-Gründer Baader, Ensslin und Meinhof verhaftet waren und der Staat mit Rasterfahndung und Razzien reagierte, radikalisierte sich die Frankfurter Szene. Am 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Gefängniszelle aufgefunden. Noch am Abend bereiteten die Frankfurter Spontis eine Demo vor. Am nächsten Tag demonstrierten rund 700 Linksradikale. Als die Polizei einschritt, flogen Molotow-Cocktails, geworfen auch von Fischers "Putzgruppe". Ein Polizist wurde dabei lebensgefährlich verbrannt. Fischer distanzierte sich danach von dieser Form der Gewalt und plädierte wieder für Steine. Es war der Anfang vom Ende des Straßenkämpfers Joschka Fischer und der Beginn der Karriere des heutigen Außenministers.

Holger Stark

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