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Kultur: Fit for Fassbinder

Die Waffen der Models: Das Deutsche Theater Berlin schickt „Petra von Kant“ auf den Laufsteg

Man trägt wieder Beutelkleider. Die Frühjahrskollektion beschert uns die am höheren Einkaufssack geschulte Tracht in allen erdenklichen Variationen; und auch absichtsvoll zerrissene Leggings, pastellfarbene Punktmuster und neongelb im Dunkeln leuchtende Lippenstifte bleiben in. Philipp Preuss’ Inszenierung „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ in der Kammerspiel-Box des Deutschen Theaters lässt da keinen Zweifel. Der Regisseur hat sich nämlich mit dem Modemacher Bernhard Willhelm zusammengetan, um auf seiner Catwalk-Bühne einen Abriss sämtlicher Fashion-Trends zu präsentieren – hoher Ironiefaktor inklusive. Schließlich handelt es sich bei Rainer Werner Fassbinders Protagonistin Petra von Kant um eine von heftigen Hysterieanfällen gebeutelte Modedesignerin.

Als Fassbinder sein Theaterstück 1972 mit Margit Carstensen, Hanna Schygulla und Irm Hermann verfilmte, leugnete er dessen Bühnenherkunft nicht: Die allgegenwärtige Künstlichkeit schlägt sich nicht nur im absichtsvoll theatralischen Carstensen-Tonfall nieder. Die Designerin ist selbst ein Kunstprodukt: Ihre Petravon-Kant-Werdung vollzieht sich allmorgendlich in einem langwierigen Prozess mittels Puderquaste, Lippenstift und Perücke. Auf dieser Basis reproduziert die Kreateurin dann mit einem in verschiedenen (Abhängigkeits-)Verhältnissen zueinander stehenden Damenkreis ganz männerfrei die klassischen Machtstrukturen. Sie demütigt ihre stumm und liebessehnsüchtig dienende Angestellte Marlene – im Film meisterlich unterspielt von Irm Hermann –, verliebt sich in die eher prollige Karin Thimm und stellt, als die sie verlässt, nach einsamen Heul-, Sauf- und Randalierorgien im eigenen Wohnzimmer fest, dass sie eigentlich weniger liebte als vielmehr besitzen wollte.

Sowohl unter künstlerischen als auch unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten lässt der Fassbinder-Film also bis heute wenig zu wünschen übrig – was eine aktuelle Theaterinszenierung nicht gerade leicht macht. Von den regelmäßig auftretenden Models mit der mehr oder weniger ironisch gebrochenen Kollektion am Leib einmal abgesehen, hält sich der Mehrwert der Preuss’schen Inszenierung denn auch in Grenzen.

Zwar lassen vor allem Barbara Schnitzler als Petra von Kant und Simone von Zglinicki als deren Freundin Sidonie bei ihrem Männerbashing-Dialog keinen Zweifel daran, dass ihnen schon länger kein Frank oder Lester mehr die Butter vom selbst verdienten Brot genommen hat. Zwar ist Birgit Unterweger im Gegensatz zur eher weichen, auf der Naivitätsklaviatur spielenden Hanna Schygulla eine zeitgemäß herbe Schönheit mit kampfbereitem Outfit und Barbara Schnitzler in ihrer vergleichsweise ruppigen, bodenständigen Ausdeutung der Carstensen-Rolle definitiv sehenswert. Und die Ernst–BuschSchauspielstudentin Elzemarieke de Vos ist sogar eine echte Entdeckung als Kant-Tochter Gabriele, die hier mit einem über den Fassbinder-Text hinausgehenden Dauermonolog für den Anschluss an die heutige Koks-, Film- und Restoberflächenwelt verantwortlich ist.

Aber all das variiert oder übersteigert bestenfalls die Künstlichkeit des legendären Filmvorbildes; einen wirklich eigenen Zugriff entwickelt die Inszenierung nicht. Und über die stumme Tragödie der Magd (Valerie Tscheplanova) wird mit zeitgeistigen, überdrehten Selbstdarstellungsperformances hinweg gekaspert.

Deutsches Theater: Box und Bar, wieder am 28. Januar und vom 4.–6. 2., jeweils um 20 Uhr 30

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