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Kultur: Fleisch ist meine Liebe

Martin Koolhovens „Schnitzelparadies“ zeigt Großküchen-Abgründe

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Bunte Tulpenlandschaften, ein Campingplatz voller Wohnwagen, Windmühlen. Martin Koolhovens „Schnitzelparadies“ beginnt mit klischeebeladenen Urlaubsdias. Die holländische Idylle mit Meerblick. Ein Paradies – wenn da nicht die Schnitzel wären.

Die panierten Fleischlappen gibt es für reisebuslustige Pauschaltouristen im wirklich letzten Restaurant am Ort, dem „Blauen Geier“. Eine ausgestopfte Variante dieses Wappentiers steht auf dem Schreibtisch von Chefin Nina Meermann und fixiert Nordip mit eisigem Glasaugenblick. Nordip ist ein junger Marokkaner mit hervorragendem Abschlusszeugnis. Sein Vater sieht in ihm den künftigen Mediziner. Nordip aber läuft gemächlich orientierungslos durch die Welt und will alles werden oder nichts. Auf keinen Fall aber Student, das steht fest. Dann lieber in die Großküche. Endstation „Zum blauen Geier“.

Wer hier arbeitet, hat alle Hoffnung längst fahrengelassen. Das Logo des Aasfressers ist Programm. Hinter der Schwingtür tut sich eine Hölle auf – schlimmer als in der widerlichsten Wohngemeinschaftsküche. Unter dem Stillleben aus Fleischresten und versifften Töpfen und Tellern ist die Arbeitsfläche nur noch zu erahnen. Neblige Fettschwaden ziehen durch den Raum. Natürlich darf geraucht werden. Es herrscht das Chaos, regiert von einem sadistischen, stets betrunkenen Küchenchef. Hier schuften die, die sonst nichts können. Und Nordip, der Tellerwäscher.

Mit Sinn für Rasanz und großartiger Musik erzählt Koolhoven von diesem Ort am Ende der Nahrungskette – und mit feinem Gespür für die Situationskomik der Multikulti-Schicksalsgemeinschaft: Holländer, Marokkaner, Serben, Türken. Auf dem schmierigen Schlachtfeld findet Nordip immerhin neue Freunde, Amimoen und Mo zum Beispiel: Die beiden Marokkaner haben längst eine Unzahl überzeugender Stressvermeidungstechniken entwickelt. „Chill, chill!“ Mit großer Klappe und Herzlichkeit helfen sie Nordip, der in grüner Schürze zwischen Spüle und Schüsseln zu verzweifeln droht. Der Job: ein Überlebenskampf.

Wäre da nicht Agnes, die Nichte der Chefin. Sie ist gleichsam zu Gast in dieser Unterwelt, soll den Laden eines Tages übernehmen. Zwischen dreckigem Geschirr und zerteilten Schweinehälften entwickelt sich eine Liebesgeschichte gegen alle Wahrscheinlichkeiten. Romeo und Julia in der Großküche. Der Sonderling verliert seine Zurückhaltung, tanzt mit ihr im „Paradies“ – der grellbunten Ortsdiskothek, wo die Truppe nach der Arbeit gemeinsam abstürzt.

Neben schrägem Dialogwitz lebt „Schnitzelparadies“ von seinen begeisterten Jungschauspielern, die eine alte Geschichte ganz neu erzählen. Und als Chefin Nina Meermann die sympathischen Loser in der Küche verzweifelt anschreit: „Hat hier jemand eigentlich noch ein Herz für den Geier?“, möchte man zurückrufen: „Unbedingt!“ Es ist angerichtet.

Filmkunst 66, FT Friedrichshain, Rollberg, Zoo-Palast

David Gels

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