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Kultur: Fotographie: Die Kammern des Todes

Ein weiß gekachelter Raum, in den wir durch hohe Fenster wie auf eine Theaterbühne schauen. Auch an ein Altarbild - ein Triptychon - könnten wir denken, die beiden Außenfenster - die Seitenflügel - sind verdunkelt, vielleicht durch einen Vorhang, der hinter ihnen hängt.

Ein weiß gekachelter Raum, in den wir durch hohe Fenster wie auf eine Theaterbühne schauen. Auch an ein Altarbild - ein Triptychon - könnten wir denken, die beiden Außenfenster - die Seitenflügel - sind verdunkelt, vielleicht durch einen Vorhang, der hinter ihnen hängt. Neonlicht fällt auf eine frisch bezogene Liege, die an ein Krankenhausmöbel erinnert. An der Wand ein Telefon, daneben eine Uhr. Ihre Zeiger stehen auf 4 Minuten nach 11.

Ein Drama, das in diesem Raum spielen könnte, geht so: Es ist früher Morgen, die Uhr steht auf kurz vor 6, und das Telefon klingelt. Am Apparat: der Gouverneur. Er begnadigt, buchstäblich in letzter Minute, den Verurteilten, der bereits auf die Liege geschnallt wurde. Wahrscheinlich ereignen sich solche Dramen nur im Film. Aber dies ist kein Film, dies ist die Wirklichkeit. In Wirklichkeit spricht durch das Telefon an der Wand wahrscheinlich nie der Gouverneur, sondern immer bloß ein Arzt, der den Tod des Menschen mitteilt, der auf die Liege geschnallt ist. Das Foto zeigt die "Lethal Injection Chamber" des Gefängnisses von Grady, Arkansas: den Raum, in dem Deliquenten mit der Giftspritze hingerichtet werden.

"The Omega Suites" hat die amerikanische Fotografin Lucinda Devlin das Projekt genannt, an dem sie seit 1991 arbeitet: die Dokumentation der Todeskammern in ihrem Land. "Omega" ist der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets - ein Endpunkt. Und "Suites" - so heißen Zimmerfluchten in eleganten Hotels. "Als ich in Colorado fotografiert habe, sagte der Wärter, der mich in die Todeszelle führte: Wir kommen jetzt in unsere Omega Suite", erzählt Devlin, "einen besseren Titel hätte ich mir gar nicht ausdenken können". Man darf den Zynismus dieses Titels nicht mit der Haltung der Fotografin verwechseln: ihr Blick ist kühl, aber nicht kalt. Devlins Bilder, die in der Daadgalerie zu sehen sind, sind von geradezu medizinischer Präzision. Im quadratischen Format der Aufnahmen ist jedes Detail erfasst, man erkennt jedes einzelne Loch in den Lederriemen eines elektrischen Stuhl (in Armore, Alabama) genauso wie die feine Holzmaserung hinter der Pritsche in einer Todesspritzenkammer (Boise, Idaho).

Fast könnte man glauben, die Räume und die Gegenstände in ihnen seien eigens für die Fotos arrangiert: Meist sind sie in strenger Frontalität wiedergegeben, Gitterstäbe, Fensterrahmen, Wandvorsprünge, Fußleisten fügen sich der Symmetrie des Bildaufbaus. Spiegelungen setzen raffinierte Lichtpunkte wie die Weißhöhungen auf einem Altmeistergemälde. Die Farbigkeit ist pastellartig abgedämpft. Eine paradoxe Ästhetik lässt sich den Bildern nicht absprechen, das macht sie so erschreckend. "Devlin zeigt, mit welcher Akribie der gewaltsame Tod verwaltet wird, den die staatlichen Mörder und ihre Komplizen als technischen Vorgang imaginieren", schreibt Ulf Erdmann Ziegler.

Was wir sehen: Ein elektrischer Stuhl in Rustikalholz vor einer Backsteinwand, die auch zu einem Partykeller gehören könnte (Columbia, South Carolina). Stapelstühle aus Plastik auf einem getreppten Holzpodium, von dem aus Zuschauer die Hinrichtung im Giftspritzen-Saal wie das Livepublikum bei einem TV-Quiz verfolgen können (Petosi, Missouri). Eine stahlverkleidete Gaskammer, die an ein Dampfbad in einer Schwimhalle erinnert (Baltimore, Maryland). In 22 US-Staaten hat Devlin Todeskammern fotografiert, das sind rund zwei Drittel der Staaten, die Todesurteile vollstrecken. "Es ist gut, dass ich mit dem Projekt vor zehn Jahren angefangen habe", sagt sie, "heute wäre es nicht mehr möglich, die Fotoserie zu machen. Es werden mehr Menschen hingerichtet, aber die Öffentlichkeitsarbeit ist viel restriktiver geworden." Devlins Bilder agitieren nicht, sie zeigen. Wegen ihres unerbittlichen Blicks auf eine mörderische Wirklichkeit sind sie bei den Betreibern der Todesstrafe inzwischen unerwünscht.

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