zum Hauptinhalt
Ehedrama im noblen Landhaus. Riccardo Zandonais Oper „Francesca da Rimini“ spielt an der italienischen Adriaküste.

© Monika Rittershau

„Francesca da Rimini“ an der Deutsche Oper Berlin: Seelenbeben an der Adria

Endlich vor vollem Haus zu erleben. Christof Loys Inszenierung von Riccardo Zandonais Renaissance-Musikdrama „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper.

Paolo, der Schöne, hat einen echten Rockstar-Auftritt: Aufregung im Orchester, die jungen Dienerinnen warten hibbelig, bei seinem Erscheinen fällt die junge Schwester der Braut in Ohnmacht. Eine sehnsuchtsvolle Cello-Kantilene umspielt dann seine Heldengestalt, aus der Ferne wehen die Stimmen eines Chores herüber.

Singen darf Paolo allerdings erst im zweiten Akt von Riccardo Zandonais Oper „Francesca da Rimini“, komponiert 1914 auf Verse des dekadenten Dichters Gabriele D’Annunzio, der sich wiederum von Dantes „Göttlicher Komödie“ hatte inspirieren lassen. Dann aber verströmt sich der Schöne in den tollsten Tenortönen. Zumindest, wenn die Rolle so stark besetzt ist wie jetzt an der Deutschen Oper.

Renaissance-Räuberpistole

Jonathan Tetelman sieht wirklich sehr gut aus, ist ebenso begeistert von der jugendlichen Stimmpracht seiner Stimme wie die Zuhörer:innen, und unterstreicht jeden pathetischen Leidenschaftsausbruch mit anrührend altmodischer Sängergestik. Dem 1988 geborenen Amerikaner gelang der internationale Durchbruch im März 2021, genau hier, in der Bismarckstraße, bei der „digitalen Wiedereröffnung“ der Deutschen Oper mit einer gestreamten Premiere der „Francesca da Rimini“. Inzwischen ist er Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon und singt an den prestigereichsten Bühnen der Welt.

Verheiratet gegen ihren Willen. Sara Jakubiak als Francesca und Ivan Invernardi als „der Lahme“ in Christof Loys Inszenierung.
Verheiratet gegen ihren Willen. Sara Jakubiak als Francesca und Ivan Invernardi als „der Lahme“ in Christof Loys Inszenierung.

© Monika Rittershau

Zu einer Aufführung vor Berliner Publikum kam es in Pandemiezeiten nicht, die Hoffnung, im April 2021 die Produktion im Rahmen des „Pilotprojekts Testing“ spielen zu können, zerschlug sich. 25 Monate später folgt nun also endlich die erste Aufführung der Christof Loy-Inszenierung im vollen Saal, mit einem neuen Dirigenten – Ivan Repusic statt Carlo Rizzi – aber identischer Solistenriege. Dazu gehört neben dem umjubelten Jonathan Tetelman auch Sara Jakubiak als Francesca, die am Ende ebenfalls gefeiert wird. Weil ihr Sopran vor innerem Feuer glüht, weil sie sich vokal rückhaltlos dem Drama hingibt, aufs Mitreißendste liebt, lebt, leidet.

Endlich vor Publikum

In dieser Räuberpistole aus der Frührenaissance hat Graf Malatesta drei Söhne: den Lahmen, den Einäugigen und eben den Schönen. Francesca soll mit Giovanni, dem Ältesten, verheiratet werden, dem Hinkebein. Vorgeschickt als Brautwerber aber wird Paolo. Sie entflammt in Liebe für den attraktiven Adligen, die ungleichen Brüder aber verfallen ihr allesamt. Was am Ende den Einäugigen (Charles Workman) dazu bringt, aus Eifersucht dem gesetzmäßigen Gatten (Ivan Invernardi) einen Hinweis auf den Ehebruch zu geben – es folgt ein Schlafzimmer-Doppelmord.  

Das geht nicht gut aus. Szene aus „Francesca da Rimini“ mit Sara Jakubiak und Jonathan Tetelman.
Das geht nicht gut aus. Szene aus „Francesca da Rimini“ mit Sara Jakubiak und Jonathan Tetelman.

© Monika Rittershau

Gefällig anzusehen ist das Bühnenbild von Johannes Leiacker, weil es genauso geschickt im Schwebezustand zwischen Heute und Einst bleibt wie die Kostüme von Klaus Bruns. In diesem ambivalenten Ambiente inszeniert Christof Loy die Geschichte geradlinig und filmrealistisch. Sichtlich gut geprobt hat die Schauspielertruppe, die als bedrohliche Bodyguards und kernige Krieger die Szenerie bevölkert, elegant arrangiert sind die Szenen, in denen Zandonai das liebliche Landleben des späten 13. Jahrhunderts feiert.

Strom der Emotionen

Fordernd dagegen ist die Musik, so souverän das Orchester der Deutschen Oper unter der Leitung von Ivan Repusic auch musiziert. Denn Riccardo Zandonais Partitur wirkt wie Puccini mit überreizten Nerven. Ein endloser Strom der Töne ergießt sich aufs Ohr, ununterbrochen ab- und anschwellend, es schäumt und brodelt, zittert, seufzt, glitzert, stampft. Zuckersüße Italianità mischt sich mit Einflüssen des französischen Impressionismus, dunkel grundierter „Tristan“-Atmosphäre und schimmerndem Klang-Damast à la Richard Strauss.

Vieles rauscht da vorbei am Zuhörer, zumal die große Textmenge die Aufmerksamkeit immer wieder nolens volens auf die Übertitel lenkt. Und dennoch entfaltet Zandonais raffinierter Stilmix durchaus narkotische Sogwirkung. Ein Abend, der zum unheilvollen Wetter passt, das gerade die Region um Rimini heimsucht: Seelenbeben an der Adria.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false