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Kultur: Gang durchs Atelier

Die Kunst des Wiederfindens: Das Hamburger Bucerius-Forum zeigt den Bildhauer Auguste Rodin

„Zum ersten Mal gehe ich daran, mein ganzes Werk zusammenzustellen“, schrieb Auguste Rodin im Vorfeld seiner Retrospektive zur Pariser Weltausstellung 1900. „Man wird darin vermutlich eine Anmaßung sehen, aber ich bin der Überzeugung, dass ich durch das Zeigen ,meiner Skulptur‘ und des ihr zugrunde liegenden Konzepts der Sache der Kunst einen Dienst erweise.“ Diesen Dienst hat er in der Tat erwiesen. Doch wie der französische Bildhauer voraussah, fielen die Reaktionen höchst unterschiedlich aus.

Rodins radikale Neuauffassung von Bildhauerei, seine Fragmente und Torsi in Gips, waren eine Provokation für das Publikum. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb begründete die Schau an der Place de l’Alma den Ruhm des Künstlers, der daraufhin zahlreiche Ausstellungen erhielt. Auch in Deutschland – in Dresden, Leipzig und Düsseldorf – präsentierte dieser Wegbereiter der Moderne seine „Kunst der Buckel und Höhlungen“. Hamburg blieb damals außen vor. Mit der Ausstellung „Vor 100 Jahren. Rodin in Deutschland“ holt das Bucerius Kunst Forum das Versäumte nun nach: Über 65 Plastiken aus der Dresdner Skulpturensammlung und dem Pariser Musée Rodin bereiten den Besuchern am Rathausmarkt einen überwältigenden Empfang – allen voran der berühmte „Denker“ und das Denkmal für Victor Hugo, beides Riesenteile aus Gips, die wegen ihrer Empfindlichkeit wohl zum letzten Mal reisen dürfen.

Seit Eröffnung des Bucerius Kunst Forums vor vier Jahren hatte Gründungsdirektor Heinz Spielmann den Wunsch, das Werk des Jahrhundertbildhauers endlich einmal in Hamburg zu zeigen. Auch wenn er zum Jahreswechsel die Leitung des Hauses an seine bisherige Stellvertreterin Ortrud Westheider übergab, geht diese Ausstellung noch auf ihn zurück. Während Rodin heute fest zum Kanon der Kunstgeschichte gehört, wurden damals Museumsdirektoren wie Justus Brinckmann in Hamburg und Georg Treu in Dresden für ihre mutigen Ankäufe angefeindet. Fragmente galten nicht als vollständige Kunstwerke und Gips als minderwertiges Material eines technischen „Zwischenstadiums“. Die kühnen Kombinationen von unterschiedlichen Köpfen und Körperteilen, die Erfindung der „Assemblage“, löste beim Publikum vornehmlich Unverständnis aus.

Rodin teilte das Schicksal vieler Künstler, die verkannt blieben. Als junger Mann fiel er drei Mal hintereinander durch die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie. Jahrelang schlug er sich als Bauplastiker und Kulissenmaler durch. Bis ins hohe Alter musste er Niederlagen einstecken. Nach der Vorstellung seines ersten lebensgroßen männlichen Akts, des „Ehernen Zeitalters“ (1877) verdächtigte man ihn, wegen der lebendigen, bewegten Oberfläche nicht modelliert, sondern vom Körper abgeformt zu haben.

Rodin selbst sah sich als harter Arbeiter, in permanenter Auseinandersetzung mit Form, Raum und Material. „Ich erfinde nicht. Ich finde nur wieder“, lautete einer seiner Leitsätze. Entsprechend sah er sich als Bindeglied zwischen Antike und Avantgarde, in der Tradition verwurzelt und doch auf die Zukunft ausgerichtet. Auch er modellierte Krieger und Helden, mythologische, historische und biblische Gestalten, wie den zum Hungertod verdammten „Ugolino und seine Söhne“ (1882) aus dem berühmten Höllentor; die „Bürger von Calais“ oder „Johannes der Täufer“. Doch riss er die Figuren aus ihrem erzählerischen Zusammenhang, vergrößerte, verkleinerte sie, erprobte die Wirkung der Form im Raum und schuf auf diese Weise die ersten frei interpretierbaren „autonomen Skulpturen“. Losgelöst von der monumentalen Figurengruppe des Victor-Hugo-Denkmals mutiert die Muse zur zeitlosen „Meditation“, wird der sterbende Sohn Ugolinos zum schwerelos anmutenden Tänzer und der von Kopf und Armen befreite „Johannes der Täufer“ zum „Schreitenden Mann“.

Für Rodin gab es kein fertiges Kunstwerk. Die Ausstellung zeigt deshalb Figurengruppen, die im Raum Zwiesprache miteinander halten, ergänzt durch eine Fülle von Fotos und Zeichnungen, die den Schaffensprozess dokumentieren. Heraus kommt dabei ein Spaziergang durchs Atelier, der selbst in Paris seinesgleichen sucht.

Bucerius Kunst Forum, bis 25. Mai; Katalog (Hirmer Verlag) 19,90 €.

Isabelle Hofmann

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