Unerklärlich, warum dieses Werk nicht zum Kernrepertoire der Klassik gehört! Die Uraufführung seiner 1. Sinfonie war 1908 ein Riesenerfolg für Edward Elgar, allein im Jahr darauf wurde sie von 92 Orchestern nachgespielt, natürlich auch von den Berliner Philharmonikern. Große, leidenschaftliche, substanzreiche Musik ist das, wie man sie vom Komponisten der „Pomp & Circumstances“-Märsche gar nicht erwartet. Nichts anmaßend Imperial-Viktorianisches haftet ihr an, und – was angesichts der Entstehungszeit noch mehr überrascht – sie klingt keinen Takt lang nach Hollywood-Soundtrack. Dazu ist die Satzarchitektur zu dicht gefügt, der Inhalt zu ehrlich gefühlt.
Gelingt eine exemplarische Aufführung dieses Einstünders, wie jetzt Donald Runnicles und den Berliner Philharmonikern, erlebt man ein Werk, das stilistisch zwischen Tschaikowsky und Brahms oszilliert: Tiefe des Ausdrucks verbindet sich mit Ernsthaftigkeit der motivisch-thematischen Arbeit. Unübertrefflich, wie die Philharmoniker am Donnerstag den wild bewegten 2. Satz angehen, eine Art englischen Walküren-Ritt inklusive sommernachtsträumerischen Intermezzi!
Als Meister des vorausschauenden Dirigats erweist sich Runnicles bereits vor der Pause in Richard Strauss’ „Don Quixote“. Aus reicher Musiktheatererfahrung weiß der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin genau, wie man Stimmungen aufbaut und weite Spannungsbögen schlägt: Unterstützt von den orchestereigenen Solisten – Ludwig Quandts treffend ritterlichem Cello-Ton und Amihai Grosz’ warmer, sanglich geführter Bratschen- Stimme – vermag Runnicles alle Raffinessen der Tondichtung auszureizen, vom Herben, ja Experimentellen über putzige Lautmalerei-Gags und Renaissance-Anklänge bis hin zum sinnlichen Klangrausch. Grandios. Frederik Hanssen