
© Moritz Haase
Gender Trouble am BE: Dieses verdammte Blumenkleid
Am Berliner Ensemble will „Alias Anastasius“ einer vor 300 Jahren hingerichteten queeren Person eine Stimme geben. Doch das Possenhafte der Inszenierung überlagert diese Absicht.
Stand:
Die Geschichte beginnt mit dem nahenden Ende Catharina Margaretha Lincks. Ein Richter, der unverständliche Laute in sein Mikrofon schnarrt, macht ihr den Prozess: Linck hat sich als Mann verkleidet und unter dem Namen Anastasius Rosenstengel sexuell mit Frauen verkehrt.
Der Richter stellt „Sodomie“ fest. Er verhängt die Todesstrafe. – Was hier im Werkraum des Berliner Ensembles verhandelt wird, ist historisch verbürgt. Tatsächlich wurde Linck im Jahr 1721 auf dem Fischmarkt in Halberstadt mit dem Schwert geköpft. Europaweit war dies laut Programmheft „die letzte als Frau gelesene Person“, die wegen Unzucht mit einer anderen Frau hingerichtet wurde.
Das Stück „Alias Anastasius“ wurde vom Autor:innen-Duo Matter*Verse (Selma Matter und Marie Lucienne Verse) erarbeitet, inspiriert von der Biografie „In Männerkleidern“ und dem historischen Briefroman „Rosenstengel“ der lesbischen Autorin Angela Steidele. Im BE wird Catharina verkörpert von Via Jikeli, ihre Entwicklung zu Anastasius von Max Gindorff. Gezeigt werden Catharinas/Anastasius‘ wichtigste historisch belegte Stationen – von der Flucht aus dem streng religiösen Waisenhaus, über Militärdienst, Desertation und Eheschließung mit Catharina Margaretha Mühlhahn bis zum Tod auf dem Schafott. Gelegentlich unterbrechen Gindorff und Jikeli ihr Spiel für einordnende Berichte und Gesangseinlagen.
Dabei sinnieren sie auch über Genderfragen: War Adam, der Urmensch, „ein Mann und auch ein Weib“ oder gerade „keins von beiden“? Mehrere Spiegel auf der Bühne vervielfältigen Catharina/Anastasius und erzeugen so einen Irrgarten der Geschlechter. In anachronistischer Sprache referieren die Schauspieler auf Catharina/Anastasius mit dem Pronomen „sie*er“, natürlich im Bewusstsein, die schon aus historischen Gründen nicht greifbare Identität dieser Person damit keineswegs zu fassen zu bekommen.
Catharina/Anastasius lebte in einer Zeit, in der es noch keine Begriffe zur Bestimmung von Geschlechtsidentitäten oder von sexueller Orientierung jenseits der Norm gab – wohl aber bereits die Zumutung einer Einordnung in Schubladen. Zu ihrer Zeit wurde Catharina/Anastasius bloß als „Frau in Männerkleidern“ wahrgenommen, heute könnte sie*er sich zum Beispiel als butchige Lesbe oder als trans verstehen. Im Stück muss Anastasius, nachdem er als „Frau“ auffliegt, sein inzwischen gehasstes „fucking Blumenkleid“ wieder anziehen, was Max Gindorff übernimmt – denn offenbar hat sich Catharina inzwischen klar zu Anastasius entwickelt.
Das alles ist durchaus unterhaltsam, denn Regisseurin Fritzi Wartenberg inszeniert das Leben Catharinas/Anastasius‘ als Schelmenroman – zu sehen ist ein Underdog, der in allerlei komische Abenteuer gerät und sich mit List durchschlägt. Den historisch verbürgten Charme Anastasius‘ bringt Max Gindorff sympathisch zur Geltung; Via Jikeli lebt ihr komisches Talent voll aus (etwa als Rekrutierer vom Militär).
Allerdings überlagert das Possenhafte die Absicht Wartenbergs und Matter*Verses, sich mit der Gewalt gegen Anastasius, mit der Kriminalisierung seines Körpers und den Gründen dafür zu beschäftigen, wie sie es im Programmheft ankündigen. Zu selten bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken. Der konturlose naive Schelm wirkt von seinem Ende bloß noch unangenehm überrascht. Das von Matter*Verse angestrebte Ziel, Catharina/Anastasius zum Sprechen zu bringen und im Kontext queerer Geschichte die Machtverhältnisse zu denormalisieren, wird nicht erreicht.
Fraglich ist weiterhin, ob es wirklich eine gute Idee ist, Anastasius Rosenstengel von einem cis-männlichem Schauspieler darstellen zu lassen. Das ist keine Frage von Realismus – selbstverständlich kann ein cis Mann im Theater eine cis Frau oder eine queere Person verkörpern (selbst wenn queere Menschen und sogar cis Frauen in Film und Theater deutlich unterrepräsentiert sind und mehr Engagements brauchen).
In „Alias Anastasius“ wirkt die Besetzung mit „Mann“ und „Frau“ für eine queere Person aber wie ein unfreiwilliger Kommentar: Gender muss durch sex beglaubigt werden. Männlichkeit ist jenseits angeborener körperlicher Merkmale nicht mal in einem Theaterstück über eine queere Person zu haben. Dabei ist es ja gerade die machtvolle heteronormative Matrix, die Catharina/Anastasius das Leben kostete. Zu ihrer Überwindung tragen queere Menschen durch ihre bloße Existenz täglich bei, während „Alias Anastasius“ die Dinge mit einer Rollenaufteilung auf zwei gegengeschlechtliche Personen einfacher darstellt als sie sind.
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