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Kultur: Gerade noch mal davongekommen: Stefan Bachmann inszeniert Shakespeares

"Romeo und Julia": Glück und Unglück der jungen Liebenden aus dem mittelalterlichen Verona rühren uns herzlich."Antonius und Cleopatra": die fatale Beziehung der reifen Menschen aus den hochherrschaftlichen Kreisen der antiken Weltpolitik findet unser Interesse, ja darf auf unsere Sympathie hoffen.

"Romeo und Julia": Glück und Unglück der jungen Liebenden aus dem mittelalterlichen Verona rühren uns herzlich."Antonius und Cleopatra": die fatale Beziehung der reifen Menschen aus den hochherrschaftlichen Kreisen der antiken Weltpolitik findet unser Interesse, ja darf auf unsere Sympathie hoffen.Und was ist mit "Troilus und Cressida"? Wer kennt sie schon, diese Randfiguren aus dem Umfeld des legendären trojanischen Krieges, und wer will sie näher kennenlernen? Mit dieser dritten Liebestragödie macht Shakespeare es dem Publikum schwer, die übliche Anteilnahme für das Schicksal des Pärchens aufzubringen.Die Liebe zwischen dem Königssohn und der Tochter eines Priesters kann sich kaum entfalten, da scheitert sie schon - an widrigen äußeren Umständen, die gleichwohl nicht tödlich sind.Eine Geschichte mit glimpflichem Ausgang, der die beiden Beteiligten ihr Unglück überleben läßt.

Man stirbt nicht an der Liebe: So gesehen, ganz cool, ist das eine ganz moderne Story.Und eine Herausforderung für ein "junges Theater", wie es der Regisseur Stefan Bachmann - gestern in Berlin, heute in Salzburg, morgen in Basel - ausdauernd verkörpert.Früher Chef einer Berliner freien Gruppe, demnächst Schauspieldirektor am Theater Basel, muß er bei seiner Salzburger Festspielinszenierung freilich mit dem Handicap fertigwerden, daß die Beziehung Troilus-Cressida nur ein Strang der Handlung ist, allenfalls ein roter Faden.

Das geistige Band aber ist der Krieg um Troja: vordergründig ein Streit um die schöne Helena, die der trojanische Prinz Paris dem griechischen Fürsten Menelaos geraubt hat, hintergründig ein Kampf um mehr als die eine Frauensperson, nämlich ums nationale Prestige.Es gibt auf beiden Seiten je einen Mann - hier den höchsten, dort den niedersten -, der dieses Motiv auf den Punkt bringt.Hektor, der älteste Sohn des Königs Priamus, hat der griechischen Forderung auf Herausgabe Helenas, anders als seine hohnlachenden Brüder Paris und Troilus, vernünftigerweise eben noch stattgeben wollen, da besinnt er sich eines anderen, eines Schlechteren: "Unser aller Ansehen" stehe auf dem Spiel, räumt er ein, besser: brüllt er auf - es ist, als wolle dieser Hektor (Michael Neuenschwander) durch Überlautstärke jedes andere Argument, auch seine eigenen, übertönen.Darauf öffnet sich im griechischen Lager das pure Lästermaul, das keine Seite schont: "Das ganze Gerangel", keift der Schuhputzer Thersites, "dreht sich um eine Hure und einen Hahnrei - ein würdiger Grund, sich totzubluten." Und dieser Thersites (Norbert Schwientek) weiß, wovon er spricht: schwer schleppt er an einem geschienten Bein, und sein kahler Schädel glänzt noch rötlich von dem Maßkrug, den Feldherr Ajax auf ihm zertöppert hat.

Das hohle Brimborium, in dem sich diese martialische Männerwelt gefällt, findet in Bachmanns Inszenierung eine satirische Resonanz.Als weites Feld für mancherlei körperliche Ertüchtigung dienen eine Steilwand, ein aufwärtsführender Steg, ein Podium, mehr breit als tief - eine Reihe von Duschhähnen, ganz rechts, macht den Turnsaal komplett (Bühnenbild: Ricarda Beilharz).Hier darf sich, gleich zu Anfang, die hübsche Cressida (Gesine Cukrowski) in aller Nacktheit erfrischen, ehe sich auch Troilus (Sebastian Blomberg) seiner Montur entledigt - allerdings in gehörigem Abstand zu seiner Angebeteten.Pandarus, der Onkel Cressidas, der sich in Abwesenheit ihres zu den Griechen übergelaufenen Vaters um seine Nichte kümmert, hat also alle Hände voll zu tun, um die jungen Leute unter ein Bettlaken zu bringen: eine Aufgabe für Peter Fitz, der, mit Pilzkopfperücke und blumenbesticktem Seidenhemd, als Spät-Beatle aus der Flower-Power-Bewegung Honigseim von den dünnen Lippen träufeln läßt.Blombergs Troilus stammelt nervös, "aller Worte beraubt", Cukrowskis Cressida setzt schon mal ein kühles "Ach nee" dagegen, worauf sie sich - starrköpfig er, schnippisch sie - in eine Diskussion über Treue und Untreue einlassen, an die sie sich später ungern erinnern werden.

Doch bevor sich ihr privates Verhältnis so fatal zuspitzt, hat sich längst die Übermacht der Politik davorgedrängt.Da spreizen sich die griechischen Kriegsherren, als stünden sie in einem Parlament am Rednerpult: "Ich sage hier mit aller Deutlichkeit", läßt sich Agamemnon (Jörg Schröder) vernehmen und unterstreicht seine Aussage mit einer Kopfbewegung à la Helmut Kohl.Nestor (Kurt Hübner) und Odysseus (Vincent Leittersdorf) wetteifern in warnendem Brustton und stechendem Fingerzeig, und die Parodie neuzeitlicher Politiker wird ihrerseits ein zweites Mal als Theater im Theater parodiert: Odysseus lüftet einen Vorhang, und hervor tönt die höhnische Imitation des Agamemnon durch seinen Landsmann Achilles (Josef Ostendorf).Dieses Schlachtroß, fett und faul geworden, ein Dickwanst in Bademantel und verschwitztem Unterhemd, im Rasierstuhl mit dem "Gala"-Magazin wohlig abgelenkt von Kriegsgeschäften, wird erst wieder wach, als es Konkurrenz um seinen Nimbus wittert: Kamerad Ajax (Bruno Cathomas) übt schon für den fälligen Zweikampf mit Trojas Hektor, da duckt ihn Achill, und Ajax muß, scheinbar unberührt, seinen Kopf wieder einrenken, um seine Ehre, buchstäblich, zu behaupten ...

Die komisch-grotesken Momente dieser unordentlichen Tragödie kommen gut zur Wirkung - für den rabenschwarzen Zynismus dieses ungeschminkt bösen Weltbildes aber vermag Bachmanns junges Theater den vollen Ernst nicht aufzubringen.Ein Extra-Lob indes verdient die musikalische Untermalung durch das Duo Balthasar Streiff und Christian Zehnder: Alphorn, Bandoneon und jodelnder Scat-Gesang setzen, skurril bis monströs, treffende Akzente.Die Aufführung, die aus dem Salzburger Stadtkino ins Baseler Foyer übernommen werden wird, fand - nach einigen Buhrufen - viel freundliche Zustimmung.

GÜNTHER GRACK

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