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Kultur: Glanz oder Gloria

Nix Politik, kaum Deutschland: Der Sieg für „Tuyas Ehe“ verhilft einer schwierigen 57. Berlinale zum Happy End

Wenn man am Himmel zwischen Fernost und Deutschland unterwegs ist, kommt man über die Mongolei. In sehr modernen Flugzeugen kann man auf den Bildschirmen am Vordersitz nicht nur Filme, sondern die Reiseroute im Tag- und Nachtmodus verfolgen. Im Nachtmodus sehen Gegenden mit großen Städten aus wie die Milchstraße im Weltall: blendend weiße Flecken, oft zu Haufen geballt, vor schwarzem Hintergrund. Die Mongolei, ein riesiges Land, ist auf diesen Monitoren ein stockfinsterer Ozean.

In der inneren Mongolei spielt „Tuyas Ehe“. Damit hat der 41-jährige Regisseur Wang Quan’an bei der Berlinale alles abgehängt, was aus funkelnderen Weltecken angetreten war: schöne und weniger schöne amerikanische, schöne und weniger schöne französische Filme, zwei britische Feelgood-Movies, zwei ordentliche Beiträge aus Deutschland, und sogar Venedig, eine weitere Location, dürfte auf den Flugzeugmonitoren als Lichtchen in der Lagune erkennbar sein. Die Bilder aber von „Tuyas Ehe“, eingefangen von Lutz Reitemeiers Kamera, Berge, wogendes Gras, Schafherden, Jurten, klapprige Autos auf Landstraßen in menschenleerem Land, sie leuchten von Anfang an.

Die schöne Tuya (Yu Nan, einzige Profi-Schauspielerin im Ensemble), stets in dicken Jacken und Hosen und das Haar von groben Tüchern bedeckt, hat einen kleinen Sohn, eine noch kleinere Tochter, und einen schon etwas älteren behinderten Mann namens Bater. Als sie selber krank wird und damit die Versorgung der Familie gefährdet, beschließt das Paar, sie soll erneut heiraten – vorausgesetzt, der neue Mann kümmert sich auch um Bater. Ein Karussell der Freier kommt in Gang, doch sie alle sind nur auf ihren Vorteil bedacht. Nicht auf der Rechnung hat Tuya ihren versoffenen Nachbarn Sen’ge, dem die Frau durchgebrannt ist in die ferne, nächstgelegene Stadt. Aber Sen’ge ist es, der ihr einen Brunnen in den felsigen Boden sprengt, Sen’ge ist es, der ihr immer wieder aus schwierigen Situationen heraushilft. Als die beiden irgendwann, entkräftet oder im undeutlichen Morgendämmern ihrer Liebe, einander sehr langsam die Stirnen entgegenlehnen, ist es, als küssten sich da zwei so innig, wie man es noch nie auf der Leinwand gesehen hat.

Dieses Innehalten ist das erste Happyend eines Films, der seine dramatische Geschichte ganz undramatisch erzählt. Und dass das eigentliche Happyend kurz vor dem Abspann davonkippt in die schreckliche Aussicht auf das Danach, macht den kleinen Film des Regisseurs, der zum dritten Mal auf der Berlinale zu Gast ist, umso größer. Der Goldene Bär für „Tuyas Ehe“, eine vernünftige Entscheidung der Jury um Paul Schrader, verhilft auch dieser Berlinale zum kaum mehr erhofften guten Abschluss (und erweist sich, nebenbei, als hübsches Neujahrsgeschenk an China, wo gerade das Jahr des Schweins beginnt). Denn der Film war der stärkste der drei chinesischen Beiträge, und er ließ auch die kaum versteckte Routine und manchen Manierismus prominenter Konkurrenten hinter sich. Vor allem aber honorierte die Jury einen unpathetischen Blick auf die Gegenwart, auf eine Welt, die im Zuge der rapiden Modernisierung Chinas zu verschwinden droht. Und ließ die bemühten Anstrengungen, Geschichte als Top-Thema fürs Zukunftskino zu verkaufen, geradezu programmatisch hinter sich.

Tatsächlich hatte sich diese 57. Berlinale, das war bereits in ihrem Anfang zu erahnen, völlig in Zeitgeschichtsstoffe verrannt. Festivalchef Dieter Kosslick hatte überall das Politische als unique selling point des Festivals beschworen – nun stürzte der Bumerang, angeschnitten von ungünstigen Winden der Rezeption, fatal auf ihn selber zurück. Trübe Themen- und auch Starvehikel wie „The Good German“ oder „Goodbye Bafana“ blieben unberücksichtigt; auch dass gefallsüchtige Konjunkturritter wie Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) und Jiri Menzel („Ich habe den englischen König bedient“) leer ausgingen, die die Nazizeit für kriminalistische oder auch altherrenerotische Bilderbögen ausschlachteten, kann niemandem ernstlich leid tun.

Nein, die so dröhnend als politisch plakatierte Berlinale dieses Jahrgangs ist splitternd gegen die Wand gefahren. Und überhaupt gereicht dieses Festival der Geschichte der Berlinale nicht zum Ruhm. Denn mit unvermuteter Heftigkeit schlugen künstlerische Kompromisse aufs Gemüt, die man zumindest seit Beginn der Ära Kosslick überwunden glaubte. Am prägnantesten sichtbar bei Gregory Navas Anti-Globalisierungs-Pamphlet „Bordertown“: Dort genügte offenbar schon die honorige Haltung des Anprangerns, um ein eindeutiges B-Picture in den Wettbewerb zu befördern. Und kam womöglich auch der aus uralten Gegengeschäften bekannte Köder à la „Wenn ihr uns in den Wettbewerb nehmt, dann kriegt ihr auch die Stars“ hinzu, hier also Jennifer Lopez und Antonio Banderas? Doch drängt Kosslick das Festival noch einmal in diese doppelte Falle aus Polit-Gutmenschentum und Star–Klüngelei, dann macht er nicht nur sich selber als obersten Film-Programmierer lächerlich, sondern die gesamte Berlinale.

Der lachende Zweite heißt Cannes. Zuletzt hatten die Berliner, mit vitaler Erneuerung und rasant wachsendem Filmmarkt, stetig aufgeholt – in diesem Jahr, da das Festival an der Croisette seinen 60. Geburtstag feiert, mag es besonders schwer erscheinen, die Distanz weiter zu verkleinern. Doch dass mit Fatih Akin und Hans Weingartner zwei junge, international hochwirksame Aktivposten des deutschen Kinos ihre Filme leider, leider für Berlin nicht fertig bekommen haben, stimmt auch vor dem neuen Gewitter-Panorama bedenklich. Der deutsche Film war, Petzold hin, Petzold her, nicht stark auf dieser Berlinale – doch ist nicht gerade die alljährlich imponierende Parade anregender und äußerst debattenwürdiger deutscher Filme das eigentliche Alleinstellungsmerkmal dieses Festivals, jedenfalls seit Kosslick sein Amt antrat?

Was vor fünf Jahren mit Andreas Dresens Geniestreich „Halbe Treppe“ begann, setzte sich in den Publikums- und Festivaltriumphen „Good Bye, Lenin!“ und „Gegen die Wand“ fort. Und von Dominik Grafs „Felsen“ über Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ bis zu Matthias Glasners „Der freie Wille“ gab es stets zuhauf Anschauungsmaterial in Sachen Abenteuer- und mitunter auch Verrennungslust deutscher Filmemacher. Das fehlte diesmal schmerzlich, auch wenn der freundliche Darstellerinnenpreis für Nina Hoss manche mit manchem versöhnen dürfte.

Fünf Jahre lang hat Dieter Kosslick die Berlinale neu vernetzt, gezielt erweitert, noch marktfähiger gemacht und insgesamt steil nach oben geführt. Sein zweites Quinquennium beginnt, gelinde gesagt, verhalten. Erinnern wir uns, lang ist’s her, an die Eröffnungsgala: Da hatte er seinen Vorgänger Moritz de Hadeln rhetorisch mit einem flotten Tritt vors Schienbein begrüßt. Am Ende dieses Festivals nun, da die Summe gewisser Unzulänglichkeiten zu Tage tritt, ist er ihm ähnlicher denn je.

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