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Glanz und verpasste Chancen: Das Ungdomssymfonikerne bei Young Euro Classic
Das norgwegische Jugendsymphonieorchester gedachte mit seinem Konzert den Opfern von Utøya.
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Wie sich Ture Herrgårdh wohl fühlt, als er zum eröffnenden Solo in Gustav Mahlers 5. Symphonie ansetzt? Es ist an dem 22-jährigen Trompeter allein, diesen gewaltigen symphonischen Kosmos von 70 Minuten Musik zu entfesseln. Wie ein Kondukt, ein Trauerzug, beginnt die erste der drei Abteilungen: zwei Sätze – dann „lange Pause“ – ein alleinstehendes Scherzo – schließlich das populäre Adagietto im Finalsatz aufgehend.
Das „Ungdomssymfonikerne“, nordisch-sachlich für „Jugendsymphonieorchester“, hatte das Gastspiel zuvor mit „Epitaph – Grabschrift zum Gedenken an die Opfer von Utøya“ von Rolf Gupta eröffnet. Während Mahler selbst, vorsichtig geworden, kein musikalisches Programm herausrücken wollte, bezieht sich die frisch komponierte „Gedenktafel“ (2023) explizit auf die nahtlos anschließende Symphonie. Schauspieler und Pate des Abends Dietmar Bär erinnert uns an das furchtbare Massaker von 2011, die Autobombe in Oslo und die 69 ermordeten überwiegend jugendlichen Opfer auf Utøya. „Jetzt wissen sie, was da gemeint ist“: da hat man nach der lustig dahinplätschernden Festival Hymne und der „Sie haben für heute Abend ein Alibi“-Pointe des Tatort-Ermittlers erstmal zu schlucken.
Eine strahlende Orchesterleistung
Doch wie geht man das musikalisch an? Gupta verwendet komplexe Klangflächen: In „Epitaph“ fluktuiert die musikalische Ereignisdichte beständig. Ausgangspunkt ist erstmal ein einziger Ton, dessen feine Schattierungen schließlich zum Orgelpunkt transformieren, worüber freitonale Dreiklangsbewegungen entstehen. Die erste Entladung erfolgt dann auf einem satt instrumentierten Dur-Akkord. Sogleich wird das tonale Gerüst aber mit „Dreck“ angereichert. Schnell ballen sich die Dissonanzen zu großen Klangmassen, um sich sukzessive in an- und abschwellenden Clustern durch die einzelnen Instrumentengruppen abzubauen.
Heute Abend aber, wirkt die kompositorische Fusion der eklektischen Aspekte einer multidimensionalen Klangsprache – von Terzschichtung bis Tontraube – unvollständig. Und so ganz schlüssig, eben zu „capiren“, um es mit den Worten des Komponisten zu sagen, der sich einst über die ungünstige Aufnahme seiner Fünften ärgerte, erscheint auch der Anschluss zum Mahler nicht.
Dafür dann aber umso strahlender die Orchesterleistung! Die Symphonie ist lang und deshalb schwer, weil ein urwüchsiges Knäuel von musikalischen Linien und aufblitzenden Motiven gebändigt werden muss, ohne steril zu klingen. Ganz erstaunlich ist, auf welch hohem technischen Niveau das Ensemble abliefert. Im Glanz der überwältigenden, chorischen Blecheffekte des Finales bleibt dann aber doch der Zweifel. Hätte deutlichere künstlerische Formung das so spielfähige wie -willige Orchester nicht in ganz andere Höhen tragen können? Dirigent Johannes Gustavsson verpasst ebenjene Chancen des Übergangs, des Klangzaubers, einer eigenen Handschrift, die vergessen ließen, dass wir ein Jugendorchester hören.
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