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Kultur: Goethe-Institut: Biotop mit Edelhölzern und Wildwuchs

Der Verfasser dieser Zeilen gehört zu jenen deutschen Autoren, deren Arbeit nicht bloß durch Goethe-Lektüre, sondern auch durch das nach dem Dichter benannte Institut gefördert und manchmal auch beflügelt worden ist. Dabei waren meine Erfahrungen keineswegs immer nur positiv.

Der Verfasser dieser Zeilen gehört zu jenen deutschen Autoren, deren Arbeit nicht bloß durch Goethe-Lektüre, sondern auch durch das nach dem Dichter benannte Institut gefördert und manchmal auch beflügelt worden ist. Dabei waren meine Erfahrungen keineswegs immer nur positiv.

Zwei Beispiele: "Ich will Ihnen reinen Wein einschenken", sagte mir der Institutsleiter in einem kleinen westafrikanischen Land, der mich, nervös auf und abgehend, am Flughafen der Hauptstadt erwartete. "Ich war dagegen, Sie hierher einzuladen. Schriftsteller nach Afrika zu schicken, hat keinen Zweck. Die meisten Leute hier sind Analphabeten, und das einzige, was sie interessiert, sind Trommeln und Tanz. - Was sagen Sie dazu", fuhr er fort, während wir vor einer Kreuzung hielten, auf der ein Polizist mit Trillerpfeife und fuchtelnden Armen den Verkehr regelte. "Nein, ich meine nicht das Taxi, das mich eben geschnitten hat," fügte er beim Blick in mein ratloses Gesicht hinzu, "auch nicht die Lastwagenfahrer, die sich rücksichtslos vordrängeln, weil sie der Moslem-Gewerkschaft angehören, deren Streik das Land lahmlegen und die Regierung stürzen kann: Ich rede von den Fußgängern." - "Und was ist mit denen?" - "Sehen nicht, dass sie die Füße nicht vom Boden hochkriegen? Sie schlurfen, anstatt zu gehen, und diese Leute wollen Sie mit deutscher Literatur beglücken!"

"Jetzt kommen sie aus ihren Löchern", sagte der Goethe-Mann später angesichts der Menschenmenge, die vor dem Eingang des Instituts Schlange stand. Der Andrang war so groß, dass die Lesung ins Freie verlegt werden musste, und die Diskussion mit dem Publikum dauerte bis zur Sperrstunde kurz vor Mitternacht. "Wer hätte das gedacht", murmelte der Institutsleiter kopfschüttelnd ein ums andere Mal.

Noch kühler war der Empfang am Flughafen der venezolanischen Hauptstadt Caracas, wo mich zu nachtschlafener Zeit keine Menschenseele erwartete. Dabei hatte das Auswärtige Amt vor der Fahrt vom Flughafen in die 30 Kilometer entfernte Stadt gewarnt, weil Taxichauffeure nicht von gewöhnlichen Kriminellen zu unterscheiden seien; Raubüberfälle und Morde waren in Caracas an der Tagesordnung. Das nach Alexander von Humboldt benannte Institut lag in einem Villenviertel, durch das Privatpolizei patrouillierte; alle Lichter waren gelöscht, und als ich klingelte, sprang mich aus dem Dunkel ein Schäferhund an.

Am nächsten Morgen eröffnete mir der Institutsleiter, dass er von Literatur nichts hielt. Er interessiere sich nur für Musik, und zwar für indische Musik, weil er vorher in Indien stationiert war. Der Vortrag eines deutschen Schriftstellers erschien ihm überflüssig und war auch in keiner Zeitung angekündigt; nicht einmal die in Caracas lebenden Deutschen waren informiert. Das Versäumte wurde wettgemacht: Der Berliner Schriftsteller XY liest aus seinem Roman "Die Berliner Mauer und die deutsche Literatur", stand, mit Kreide geschrieben, auf einer Schiefertafel im Foyer des Instituts, obwohl selbst ein Laie hätte bemerken können, dass es sich um den Titel eines Vortrags und nicht um einen Roman handelte. "Sehen Sie," sagte der Institutsleiter triumphierend beim Blick auf die kleine Schar seiner Mitarbeiter, die als Publikumsersatz erschienen war, "ich habe Ihnen gleich gesagt, dass Literatur hierzulande nicht zieht. Hätte die Zentrale uns ein indisches Orchester geschickt, hätten wir ein volles Haus!"

Die Motorsäge der Ministerialbürokratie

Aber das Problem des Goethe-Instituts sind nicht dessen unfähige Angestellte, wie es sie in jeder Behörde gibt, sondern die Haushaltspolitik der Bundesregierung und der Rotstift der Ministerialbürokratie, der erfolgreich arbeitende Institute von der Liste gestrichen hat: Rejkjavik, Marseille und Turin, um nur drei Orte zu nennen, an denen deutsche Sprache und Kultur mehr als eine marginale Rolle spielen. Zwar wurden und werden in Ländern des ehemaligen Ostblocks - vom Baltikum bis nach Zentralasien - neue Institute aufgemacht, aber jede Schließung ist ein irreversibler Akt, der, wie die Rodung eines tropischen Regenwalds, ein lokales Biotop zerstört. Egal, ob der Motorsäge das Edelholz oder Wildwuchs und Unkraut zum Opfer fallen: Die spezifische Mischung aus hoher und populärer Kultur, U- und E-Musik, von "Linie Eins" bis zu den Berliner Philharmonikern, war und ist die Stärke des Goethe-Instituts.

Dessen Geschichte wird erst jetzt geschrieben: Von der Gründung im Jahre 1951, als man das Gespenst der NS-Vergangenheit auszutreiben versuchte, bis zum erweiterten Kulturbegriff der 60er Jahre, als Goethe vom Sockel gestürzt und durch Werbetexte und Comic-Strips verdrängt werden sollte; und weiter von der Aneignung des nationalen Kulturerbes in Ost- und West bis zum multikulturellen Deutschland nach der Wiedervereinigung, das mit bemühter Toleranz den Eindruck der Fremdenfeindlichkeit zu konterkarieren versucht (siehe Tagesspiegel vom 3. Juli).

Ein Spiegel dieser Entwicklungen ist die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Spracharbeit, das Standbein des Goethe-Instituts, wobei je nach Konjunktur die Alltags- und Umgangsprache oder der klassische Literaturkanon im Mittelpunkt stehen. Dabei verhielt sich das regierungsunabhängige Institut oft kontrapunktisch zu den Vorgaben der Politik und bekannte sich im Zweifelsfall lieber zu Günter Grass und Klaus Staeck als zu Strauß und Kohl.

Politisch motivierte Konflikte gab es auch in der sozialdemokratischen Ära, als der Übersetzer und Romancier Curt-Meyer Gerson während der portugiesischen Nelken-Revolution das Institut in Lissabon leitete. Darüber hinaus gibt es kaum etwas, was in einem der über die ganze Welt verstreuten Institute nicht vorgefallen ist: von gewöhnlichen Verbrechen und Eifersuchtsdramen über Mord und Krieg bis zur Revolution. Im kolumbianischen Medellín wurde der Instituts-Leiter von Straßenkindern überfallen, bis auf die Unterhose entkleidet und ausgeraubt; in Neu Delhi - oder war es in Karachi? - wurde die Gattin des stellvertretenden Leiters mit einem Krummschwert im Ehebett erdolcht, und das Teheraner Goethe-Institut diente Ende der 70er Jahre als konspirativer Treffpunkt für Studenten und Oppositionelle, deren Massenprotest den Schah des Iran zum Rücktritt zwang.

Aber das sind Ausnahmen, nicht die Normalität. Der Alltag der auswärtigen Kulturpolitik sieht eher so aus, dass ein aus Münster eingeflogener Historiker auf dem Weg zum venezolanischen Goethe-Institut in eine Pfütze tritt und schlammbespritzt, mit hochgerollten Hosenbeinen zu seinem Vortrag erscheint. Oder dass die Frau des Institutsleiters in einem westafrikanischen Land einen aus Berlin angereisten Schriftsteller fragt, warum ihre Hausangestellten ständig mürrisch und unzufrieden sind. "Weil die Lady uns verhungern lässt," sagt der einheimische Koch und zeigt angewidert auf die mit Schinken und Käse vollgestopfte Tiefkühltruhe - Nahrungsmittel, die für Moslems wie Hindus ungenießbar sind.

Sternstunden, Kaffeekränzchen

Aber es gab auch Sternstunden wie die Gedenkfeier für Uwe Johnson im New Yorker Goethe-Institut, wo Helen Wolff, die große Vermittlerin deutschsprachiger Literatur, von ihrer langjährigen Freundschaft mit dem Autor der "Jahrestage" erzählte, während der Bankier Abs, dessen Name in Johnsons Romanen eine zentrale Rolle spielt, andächtig lauschend in der ersten Reihe saß. Oder wiederholte Begegnungen mit dem französischen Romancier Claude Simon, der auf einer Tournee durch Norwegen vor winzigen Kaffeekränzchen seine nobelpreiswürdige Prosa las, während der Autor dieser Zeilen, damals noch ein blutjunger Debütant, Turnhallen und Tanzsäle mit seinen Texten füllte - eine Frage der Sprachbarriere und nicht etwa der literarischen Qualität.

Was Möglichkeiten und Grenzen des Kulturaustauschs angeht, hat der Namenspatron des Goethe-Instituts das Entscheidende gesagt : "Denn daraus nur kann endlich die allgemeine Weltliteratur entspringen, dass die Nationen die Verhältnisse aller gegen alle kennenlernen, und so wird es nicht fehlen, dass jede in der andern etwas Annehmliches und etwas Widerwärtiges, etwas Nachahmenswertes und etwas zu Meidendes antreffen wird."

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