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Gorkis „Kleinbürger“ Deutsches Theater: Hinter Lenins Rücken

Gorkis „Kleinbürger“ am Deutschen Theater Berlin: Dem selten gespielten Klassiker wird schon in der ersten Minute ein vermeintliches Heute-Gefühl eingeprügelt.

Oje, ein Generationenabend! Kaum hat sich die Familie Bessemjonow aus Maxim Gorkis erstem Drama „Kleinbürger“ mit all ihren Untermietern und Pflegekindern in quasi historischen Gewändern auf dem erfrischend leeren Bühnenrund um das große Lenin-Standbild gruppiert, das der Bühnenbildner Rufus Didwiszus ins Berliner Deutsche Theater hat karren lassen, da zeigt uns die Regisseurin Jette Steckel, was eine Harke ist: laut wummert es aus den Bühnenboxen. Dazu hämmern die Schauspieler ihre Köpfe gegen unsichtbare Wände wie aufgezogene Automaten. Ein seelenloses Kollektiv vor sich hinzuckender Niemandswesen.

Ui, denkt man. Da wird dem selten gespielten Klassiker aus dem Jahr 1901 ja schon in der ersten Minute mit der Brechstange ein vermeintliches Heute-Gefühl eingeprügelt. Und dabei bleibt es. In den folgenden drei Stunden wird also mehr die Hintergrundmusik als das Spiel der Akteure für Atmosphäre sorgen, auf die weiße turmhohe Rundwand werden immer wieder Videos eingespielt, in denen Schauspieler vor sich hinglucksend aus ihren Kindertagebücher lesen oder dabei zu beobachten sind, wie sie melancholisch Wäsche in die private Waschmaschine stopfen.

Und als Tatjana, die unverheiratete Tochter des Hauses, mal wieder einen Verzweiflungsanfall bekommt, zappelt sich Natali Seelig zum schon vertrauten Boxenkrach einfach die Einsamkeit aus den Gliedern. Allüberall inszenatorische Übersprungshandlungen und Ablenkungsmanöver, die mal mehr und mal weniger Kurzweil generieren, vor allem aber den eisernen Willen erkennen lassen, unbedingt lockeres junges Theater machen zu wollen.

Es geht bei Gorki um einen Konflikt zwischen dem erfolgreichen Handwerker Bessemjonow und seinen tschechowartig das Leben verwartenden Kindern. Sohnemann Pjotr wurde nach einer Protestaktion der Universität verwiesen. Tochter Tatjana ist eine frustrierte Lehrerin und weiß nicht, wie sie aus dem verhassten Elternhaus rauskommen soll. Allerdings tobt auch noch der kämpferische proletarische Pflegesohn Nil durchs Haus, der für Vater Bessemjonow immer mehr zum Dorn im Auge wird, weil Nil nämlich weiß, was er will: auf die Barrikaden gehen. Die Welt verändern.

Was Jette Steckel von der klassenkämpferischen Seite des Stückes hält, zeigt schon das Bühnenbild. Sie geht ihr buchstäblich am Hintern vorbei. Lenin steht zwar auf der Bühne, aber er zeigt nur die Rückansicht, sein Hinterteil. Einmal, im zweiten, besseren Teil, in dem die Mittel immerhin organischer ineinander greifen als in den bemühten ersten anderthalb Stunden, tritt dieser Nil – von Felix Goeser mit aktivistischer Körperwucht über die Bühne gejagt – an die Rampe, hält einen agitatorischen Monolog gegen Kernkraft und fordert das Publikum (mit Erfolg!) dazu auf, mitzusprechen. Aber der ironische Schalk, mit dem er dabei vorgeht, macht deutlich, dass auch die Empört-Euch!-Geste Pose ist, ein weiterer schneller Griff in die Kiste des jugendlichen Inszenierens.

Katrin Wichman hüpft vorbei, als burschikos überkandidelte Witwe zur Untermiete und Hilfsschauspielerin Jelena in ein überdimensionierten Gummisandwich verpackt. Ole Lagerpusch gibt den renitenten Pjotr als Kopie des Grimassenwahnsinnigen Jim Carrey, während es Helmut Mooshammer als Vater Bessemjonow mit der Wehleidigkeit anfangs sehr übertreibt, um später die Verletzlichkeit eines Überforderten aufscheinen zu lassen. Der Spaß kommt von den Schauspielerin, das andere meist vom Band. Große Ausnahme: Peter Jordan, der als immer Sonnenbrille tragender Außenseiter Teterew nicht nur die besten Texte hat. Bei ihm hat die Wucht der Gauklerei auch einen Grund. Bitterkeit. Von der man diesem Abend viel mehr gewünscht hätte. Andreas Schäfer

Wieder am 14., 16. und 28. Mai

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