
© Cosimo Filippini
Gustav Mahler Jugendorchester: Musik des Verschwindens
Sternstunde: Unter Leitung von Jakob Hrůša gastiert das Gustav Mahler Jugendorchester mit Mahlers Neunter beim Berliner Festival Young Euro Classic.
Stand:
Fast eine Minute dauert es, bis der Jubel ausbricht. Die Musik ist gestorben, ein letztes, anrührend schön gespieltes kurzes Cello-Solo, unfassbar leise die Cello-Gruppe danach, das Wiegeschrittmotiv in den Bratschen, gedehnt, zerfasert, zerfallend, das hohe Sirren der Violinen, fast unhörbar: Selten fasst Mahlers Musik des Verschwindens am Ende der 9. Symphonie einen derart im Innersten an.
Das 112-köpfige Gustav Mahler Jugendorchester unter Leitung von Jakub Hrůša dimmt das Pianissimo immer weiter herunter, fast meint man, die Herzschläge des Publikums im ausverkauften Konzerthaus zu vernehmen.
Kaum zu glauben, dass die jungen, aus ganz Europa stammenden Musiker:innen schon so genau und tief empfunden vom Ende erzählen können. Und dann, Stille im Saal, viele kostbare, zerbrechliche Sekunden lang.

© Marian Lenhard
2016, als das Orchester schon einmal mit Mahlers Neunter beim Berliner Jugendorchester-Festival Young Euro Classic gastierte, damals unter Leitung von Philippe Jordan, hatte das Publikum noch sofort applaudiert.
Dass es diesmal gelingt mit der Stille, liegt an der hypnotisierenden Spannung, die der 42-jährige Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und künftige Leiter des Londoner Covent Garden dem Orchester vom ersten Takt an abverlangt, an den feinsinnig dosierten Dynamiken und der unaufhörlichen rhythmischen Spannkraft. Sei es beim Seufzer-Urmotiv des Kopfsatzes, in dem die Musik sich ein letztes Mal von einer Leichtigkeit zu träumen erlaubt, die es nie gab, sei es bei den grotesken Zerrbildern des Ländler-Scherzos und der Rondo-Burleske und den zwischen Sehnsucht und Trauer irrlichternden Alleingängen von Bläsern und Solo-Streichern im finalen Adagio.
Hrůša vermeidet jeden harten Cut zwischen den vermeintlich heiteren Auftaktmotiven, die nicht von der Stelle kommen, den wehmütigen Abschiedsgesten und den ins schrille Chaos verdichteten Klangballungen. Vielmehr dirigiert er geschmeidig organische Metamorphosen. Auch wenn man sich das Solo-Horn eine Spur differenzierter wünschte: Mit den zarten Tastbewegungen der Streichertutti, furiosen Accelerandi und duftigen Auflösungserscheinungen wird der Abend zu einer Sternstunde des YEC-Festivals 2023.
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