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Kultur: Hanns Dieter Hüsch: "Auch der liebe Gott braucht einen Schutzengel"

Es gibt eine schöne alte Legende von einem Rabbi, zu dem ein Schüler kommt und fragt: "Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht gesehen haben. Warum gibt es sie heute nicht mehr?

Es gibt eine schöne alte Legende von einem Rabbi, zu dem ein Schüler kommt und fragt: "Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht gesehen haben. Warum gibt es sie heute nicht mehr?" Der Rabbi antwortet: "Weil sich heute niemand mehr so tief bücken kann." Herr Hüsch, in Ihrem Buch "Wir sehen uns wieder" behaupten Sie, Gott getroffen zu haben. Mussten Sie sich bücken?

Der liebe Gott kam auf dem Fahrrad. Hielt an und wollte absteigen. Dabei fiel er fast hin und ich hab ihn aufgefangen. Bücklinge machen, davon halte ich nichts. Ich denke aber, wer heute einen Dialog mit der Jugend herbeiführen will, muss sich herablassen, herabneigen, von sich absehen, sich zuwenden und zuneigen. Der sollte sich im Sinne von Demut durchaus etwas bücken.

1987 ließ Wim Wenders im "Himmel über Berlin" den Engel wieder auf die Erde. Inzwischen begegnen uns Engel im Werbefernsehen. Dort fahren sie Auto wie die Teufel. Glauben Sie an Engel?

Ich habe noch keinen getroffen. Vom lieben Gott weiß ich aber, dass selbst er einen persönlichen Schutzengel hat. Mit dem muss er, immer wenn er auf der Erde ist, chinesisch essen gehen. Einmal sei der gekommen und habe zum lieben Gott gesagt: "Du musst nach Patagonien! Sofort! Wir haben Deinen Sohn dort in ein Krankenhaus gelegt. Er hat eine schwere Rippenfellentzündung. Das kommt davon, weil er immer noch mit diesem Tuch herumläuft." Und die Engel sind es ja auch, die Faustens "Unsterbliches" zum Himmel tragen, nachdem sie den Teufel darum betrogen haben.

Auf Ihrer Autogrammkarte sind Sie mit einer Krone zu sehen. Ist das eine Anspielung auf King Lear, den Sie demnächst in Leipzig spielen wollen?

Das ist keine Krone. Der Verlag hatte die Idee, mich so ablichten zu lassen. In "Wir sehen uns wieder" handelt es sich ja um "Geschichten zwischen Himmel und Erde" . Da hat man mir einen symbolischen Heiligenschein verpasst. Aber das ist selbstverständlich nicht so ernst gemeint.

Ist die Beziehung zwischen dem "zeitlosen" Hanns Dieter Hüsch und dem irdischen Menschen schon mal schwierig?

Im Grunde nicht. Dass bei mir Zwischenwände durchsichtig sind, das ist meine Eigenart. Wer nichts sieht, hat auch keine Gewissheit und traut den eigenen Schlüssen nicht. Bei mir ist das eben anders. Ich nehme auch das Dahinter wahr, und darum habe ich die innere Sicherheit.

Sie sind ein religiöser Mensch. Wann sind Sie sich des Grenzenlosen bewusst geworden?

Das Wissen um nicht fassbare Vorgänge hat meine Beziehung zur Welt schon früh geprägt. Ich hatte eine schöne Kindheit. Aber wenn ich von Dingen wusste, von denen die anderen offenbar nichts wussten oder auch nichts wissen wollten, fühlte ich mich einsam. Einsamkeit entsteht nicht dadurch, dass man niemanden um sich hat, sondern dadurch, dass man Gedanken für gültig ansieht, die den anderen als abwegig gelten. Das Ungeahnte und das Himmelschreiende gehören in diese Welt. Nur dann ist das Dasein ganz. Für mich war der Globus von Anfang an unendlich groß und unfasslich.

"Das Kabarett ist tot, es lebe das Kabarett!", wenn Peter Kreuder Ihnen das nicht zugerufen hätte, so haben Sie geschrieben, "wäre ich nie wieder nach Berlin gegangen, der Stadt, in der so viel Herz und Schnauze rumlaufen soll, aber oft muss man sehr danach suchen".

Das war 1955. Willi Schaeffers hatte mich eingeladen und sich gewünscht, ich möge als Geburtstagsgeschenk eine halbe Stunde lang meine eigenen Werke vortragen. So spielte ich denn auf einem großen Flügel meine Liedchen und Sprechgesänge den Herrschaften vor, aber es gab keinen Lacher und keinen Applaus. Das war ein schlimmer Moment - ein sehr schlimmer. Ich habe den Klavierdeckel zugeknallt. Peter Kreuder und der alte Rowohlt haben mich danach ein wenig getröstet.

Im Dezember haben Sie Ihren Abschied von der Bühne verkündet. Jetzt treten Sie trotzdem noch einmal in Berlin auf. Warum?

Weil mein alter Freund Volker Kühn mich eingeladen hat. Man feiert 100 Jahre Kabarett in einer Zeit, in der es nur noch Comedy, Comedy und noch mal Comedy zu geben scheint. Also hoffe ich, dass es an diesem Abend in der Akademie gutes Kabarett gibt. Auftreten werde ich auch weiterhin, nur nicht mehr so viel. Ich will keine großen Tourneen mehr machen.

Herr Hüsch, Sie haben den Slogan erfunden: "Überall ist Niederrhein! Weitersagen!" Sind die Niederrheiner auch überall?

"Zweifellos, es gibt zwei Rheine, den oberen, den Weintrinkerrhein, den unteren, den Schnapstrinkerrhein, den man weniger kennt, und für den ich plädiere." Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Heinrich Böll. Ich bedaure sehr, dass ich ihm persönlich nicht begegnet bin. Nachsicht und Großzügigkeit, zwei Eigenschaften, die ich dem Niederrheiner gerne andichte, Heinrich Böll hatte sie gewiss. Der Niederrheiner überhaupt ist für mich Joseph Beuys. Auch ihn habe ich leider nicht getroffen. Die alte Gestalt, die stirbt oder erstarrt ist, in eine lebendige seelenfordernde und geistesfördernde Gestalt umzugestalten. Das ist der erweiterte Kunstbegriff von Joseph Beuys. Je mehr ich Abstand vom Tourneestress gewinne und wieder so arbeite wie damals, als ich angefangen habe, je mehr Philosophie kommt wieder in mir auf. In diesem Sinne sind Niederrheiner überall.

Es gibt eine schöne alte Legende von einem Ra

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