Kultur: Hebbel-Theater: Der Höhlenforscher tanzt
"Aus der Traum vom tiefen Verständnis des Universums. Punkt neun nach Feierabend.
"Aus der Traum vom tiefen Verständnis des Universums. Punkt neun nach Feierabend. Schade das Ganze." Hochtrabend, lakonisch und verliebt in das Paradoxon: So endet sie, Jo Fabians kleine Geschichte der Welt und ihrer Höhlenforscher, die er seiner herrlich verspielten CD-ROM "No Fish No Cheese" vorangestellt hat. Und so könnte jede seiner Arbeiten auch beginnen. Zehn Jahre Fabian-Theater sind auf dem Silberling eingebrannt, zehn Jahre zwischen freier Szene und Stadttheater, in denen sich der Berliner Regisseur, Bühnenbildner, Sänger und Choreograph unbeirrbar treu geblieben ist: für die einen ein lichttrunkener Robert Wilson des Ostens, für die anderen ein gewitzter Philosoph des Theaters. Ausgezeichnet mit dem "Deutschen Produzentenpreis für Choreographie 2001", realisierte er mit dem Preisgeld "The dark side of time". Nach der Uraufführung im Berliner Hebbel-Theater geht das Stück auf Tournee in elf koproduzierende Städte.
Durch drei "Aggregatzustände" will Fabian sein Publikum schleusen: den leeren, den historischen und den phantastischen Raum. Dabei bekennt er sich offen zu dem, was uns täglich angetan und nicht selten als Wirklichkeit verkauft wird: Manipulation. Fabian benutzt Texte als Ballast, auf dass sie unseren Blick auf das Bühnengeschehen verbiegen, bietet Brillen mit Gläsern in allen Bonbontönen an, will ablenken von Bedeutungen, die auf der Hand liegen. "Einen sentimentalen Versuch, Wahrheiten außerhalb von Ideologien zu erforschen", so nennt er das. Dazu hat der Regisseur Ordnungsmethoden erdacht wie sein "Alphasystem", mit dem er Texte Buchstabe für Buchstabe in Bewegung umwandelt. Ein in sich geschlossenes Schema, das der Zuschauer nicht rückübersetzen kann und das an sich keinen Sinn trägt. "The dark side of time" ist die dritte Produktion zur "Erprobung" des Alphasystems. Ob es funktioniert, lässt sich nicht sagen. Zu stark lastet ein Text von Verrat und "Narben im Gebiss" auf der Szene, zu schwach behauptet sich Fabians sonst so reiche Bilderwelt gegen das Raunen. Der leere Raum - eine Ausnüchterung, ein nicht uneitles Unterlaufen aller Erwartungen, müde 40 Minuten.
Der historische Raum - ein Tableau zwischen Schlachten und Schlachteplatte. Drei Damen zielen mit aufgepflanzten Bajonetten in den Raum, zwei Herren mit Magrittes Melonen auf dem Kopf speisen an einer Tafel. Ihre Gabeln lärmen wie Gewehrsalven. Nach und nach verengt sich der Fokus auf einen Videoschirm, der saftiges Grün ausstrahlt, auf dem ein schwarzer Fleck ruht. Manchmal bewegt der sich auch, sehr grazil für einen Fleck dieser Größe. Aus stehenden, stockenden und träge fließenden Bildern setzt sich die Szenerie eines Stierkampfes zusammen, ein schwereloses Farbspiel in Rot-Grün-Schwarz. Die Brutalität des Tötens verwandelt sich unmerklich in eine zärtliche Notwendigkeit, ein Gefühl, das selbst der wiederholt missglückte Versuch des Todesstoßes nicht auszulöschen vermag. Und da seine Bilder den Zuschauer längst in einen Strudel des Zweifels gezogen haben, womöglich gar in eine "Umwertung aller Werte" à la Nietzsche, dürfen Fabians Schützinnen über ihren Bajonetten zusammensinken. Ihr Werk ist getan, der Vorhang fällt. Verstörende 40 Minuten.
Bleibt Leere nur eine hohle Behauptung und Geschichte für den Heiner-Müller-Fan ewiger Totschlag, so entführt Jo Fabians Phantasiewelt an einen Ort lakonischer Heiterkeit. "Wo ich herkomme, ist alles wunderbar", erzählt er und lässt seine Stimme Liebeslieder zur Gitarre singen. Am liebsten auf nur einem Ton. Während sich die Melonen-Träger um drei Schwestern mit einem Tellergericht Fisch auf dem Kopf bemühen, wird eine Kindheit erfunden, die über jede Logik erhaben ist, und eine Sabine Klatte zur Empfängerin des erstes Kusses ernannt. Ein Fabulieren in kurzen Sätzen, ein kleines Konzert und herzzerreißende Versuche, der Angebeteten einen Strauß Rosen zu überreichen. Easy listening, easy watching, ein Divertimento. Wundersam unterhaltend selbst in der Verweigerung. Die konjugierte Fabian stoisch bis zum letzten, ersterbenden Applaus-Klatscher durch. Da erscheint in der dunkelblauen Bühnentiefe plötzlich eine Gestalt mit Heiligenschein, doch "lasset die Theater-Kinder zu mir kommen", das sagen ihre Gesten nicht. Mit kühler Handbewegung weist sie die Zuschauer von sich. Jo Fabian, der Apostel selbst redender Bilder, will keine Jünger. Deshalb hat er so viele. Sie werden ihm folgen, auch wenn der Meister eines Tages sein Alphasystem verlässt und die Entdeckung des Betaquadranten bekannt gibt.