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Susanne Moser und Philip Bröking, das Intendanzduo der Komischen Oper, sowie der Regisseur Tobias Kratzer (mit Kappe) vor dem Bühnenbild-Modell

© Jan Windszus

Henzes „Floß der Medusa“ im Hangar: Die Komische Oper hebt ab

Mit spektakulären Satelliten-Produktionen will die Komische Oper Berlin während der Sanierung ihres Stammhauses im Gespräch bleiben. Als erstes inszeniert Tobias Kratzer im Hangar 1 des Flughafens Tempelhof.

Die verrückte Idee, zum Start der aktuellen Saison die Zuschauerreihen aus dem Parkett der Komischen Oper auszubauen, um für Luigi Nonos „Intolleranza“ den Saal in eine Eiswüste zu verwandeln, war nur der Anfang. Im September, wenn die Spielzeit 2023/24 startet, will das Intendanzduo des Hauses noch eins draufsetzen: Susanne Moser und Philip Bröking präsentieren dann Hans Werner Henzes „Floß der Medusa“ im Hangar 1 des Flughafen Tempelhof.

Im Sommer muss die Komische Oper ihr Stammhaus in der Behrenstraße räumen, für eine Generalsanierung samt Erweiterungsbau. Am 10. Juni senkt sich zum letzten Mal der Vorhang, dann zieht das Ensemble mit Sack und Pack nach Charlottenburg, ins Schillertheater. Mindestens sechs Jahre wird das Exil dauern.

Doch Moser und Bröking wollen nicht jammern, sondern, im Gegenteil, die Herausforderungen „in einen Vorteil verwandeln“. Indem sie nämlich mit spektakulären Satelliten-Produktionen an außergewöhnlichen Orten auch Menschen in die Oper locken, die sonst nicht zu ihnen kommen würden. So wie jetzt in die hohe Halle des Ex-Flughafens.

1600 Plätze auf zwei Tribünen

6000 Quadratmeter Fläche stehen dort zur Verfügung, rechts und links der Spielfläche sollen zwei Tribünen mit jeweils 800 Plätzen errichtet werden. Titus Engel hat die musikalische Leitung, auf der mittigen Spielfläche will Regisseur Tobias Kratzer Henzes 1968 entstandenes Oratorium in eine „soziale Performance“ mit 154 Mitwirkenden übersetzen.

Am Montag, bei der Präsentation des Projekts auf dem Flughafengelände, schwärmt Kratzer davon, dass er schon bei der ersten Besichtigung „blitzverliebt“ war in den Hangar. Sein Job sei ja so etwas wie die Bagger-Wette bei „Wetten, dass“, bei der Sandra Hasenauer im vergangenen Jahr mit der Mega-Schaufel sechs Hühnereier aufgestochen hat, sagt der Regisseur. So ein Riesenaufwand sei auch nötig, um etwas so Filigranes wie eine Opernaufführung hinzubekommen. „Mit dem ,Floß der Medusa‘ im Flughafen bin ich jetzt bei der Außenwette angekommen.“

Das Drama ist wirklich passiert

Sein Berlin-Debüt gab Kratzer 2017 an der Komischen Oper, mit Rameaus „Zoroastre“. An der Deutschen Oper startet er an diesem Samstag einen Richard Strauss-Zyklus, außerdem ist er designierter Intendant der Staatsoper in Hamburg. Schon seit drei Jahren aber ist er mit Susanne Moser und Philip Bröking bereits im Gespräch über die Henze-Inszenierung. Das Bühnenbild von Rainer Sellmaier wird bereits in den Werkstätten der Opernstiftung gebaut.

Susanne Moser und Philip Bröking, das Intendanzduo der Komischen Oper, sowie der Regisseur Tobias Kratzer (mit Kappe) am Flughafen Tempelhof.
Susanne Moser und Philip Bröking, das Intendanzduo der Komischen Oper, sowie der Regisseur Tobias Kratzer (mit Kappe) am Flughafen Tempelhof.

© Jan Windszus

Henzes Musiktheater beruht auf einer wahren Begebenheit: Im Jahr 1816 sinkt das französische Schiff „Medusa“ vor der senegalesischen Küste, die Offiziere beanspruchen die wenigen Rettungsboote für sich, die übrige Besetzung muss sich auf einem hastig gezimmerten Floß zusammendrängen. Nur 15 der 154 Menschen überleben. Zwei von ihnen veröffentlichen einen Augenzeugenbericht, von dem sich Théodore Guéricault 1818 zu einem Gemälde inspirieren lässt, dass in Paris für Furore sorgt.

Noch krasser gehen die Meinungen 150 Jahre später bei der Uraufführung vom „Floß der Medusa“ in Hamburg auseinander. Der Komponist hat das Werk Che Guevara gewidmet, Studierende befestigen eine rote Fahne im Saal, der Chor weigert sich, unter diesem Symbol zu singen, die Polizei schreitet mit Gummiknüppeln ein – schließlich wird die Veranstaltung für beendet erklärt, noch ehe sie begonnen hat. Erst 1971 kann die Uraufführung stattfinden, in Wien.  

Kompakte 75 Minuten dauert das Stück, Charon, der Fährmann der Unterwelt, führt als Sprecher durch die Geschichte, eine Hauptrolle spielt Madame La Mort, die Inkarnation des Todes, auf deren Seite im Laufe der Aufführung der Großteil des Chores hinüberwechselt. Bachs barocke Passionen, Anklänge an Richard Strauss und Alban Berg sind im farbenreichen Orchesterklang auszumachen, vokal wird das gesamte Ausdrucksspektrum von zartem Gesang über dramatische Deklamation bis hin zum Schrei ausgereizt.  

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