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Kultur: Hilf mir durch die Nacht

Der Haudegen lächelt: Kris Kristofferson im Hamburger Schauspielhaus

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Eine merkwürdige Ankündigung über dem Portal des altehrwürdigen Hamburger Schauspielhauses in elektronischer Leuchtschrift: „Kris Kristofferson – This Old Road von Bertolt Brecht“ Da muss jemand etwas verwechselt haben. „This Old Road“ heißt das neueste Album des amerikanischen Singer/Songwriters, und Kristofferson ist zwar in unzähligen Filmen als Schauspieler aufgetreten, doch heute spielt er nicht Brecht, sondern sich selbst, Kristofferson. Das einzige Konzert des mittlerweile 70-jährigen Country-Haudegens in Deutschland ist seit Monaten ausverkauft.

Im Foyer rätseln die Fans, ob Kristofferson heute mit Band spielt? Oder im Duo mit seinem langjährigen Mitstreiter Stephan Bruton? Die Antwort steht auf der Bühne in Form einer einzelnen Gibson-Akustikgitarre. Dazu ein Mikrofon und ein einsames Notenpult. Einige vereinzelte Cowboyhüte im Publikum wirken drollig deplatziert im gediegenen Theatersaal zwischen rotem Samt und Goldbronze. Und dann wird es ganz still im Auditorium. Ein paar Minuten, bis das Licht ausgeht und Kristofferson zum Mikrofon schlendert. Tosender Jubel. Der Sänger sieht blendend aus: mit gewelltem, vollen weißem Haar, gestutztem Bart und braunen Stiefeln, die den Eindruck machen, als hätten sie schon manchen steinigen Weg hinter sich: „This Old Road“. Kristofferson hängt die Gitarre um und singt. Sehr ruhig, sehr brüchig, mit einem Bariton, der in tieferen Lagen die Melodie in ausdrucksstarker Tonlosigkeit verseufzen lässt. Da ist nichts Falsches, nichts Gekünsteltes. Nur dieser charmante, immer noch so jung wirkende, alte Mann, der so viel erlebt hat und sein Repertoire der letzten vierzig Jahre aufblättert wie ein Fotoalbum: „Look at that old photograph, is it really you?“

Nach einem Literaturstudium in Oxford hatte er eigentlich Schriftsteller werden wollen. Bis er in den sechziger Jahren bei Bob Dylan sah, dass sich auch einfache Songs mit ernst zu nehmender Poesie verbinden lassen. Und er anfing, selber Songs zu schreiben, dafür eine gutbürgerliche Karriere als Lehrer aufgab und zunächst in Bars von Nashville jobbte, als Faktotum bei der Plattenfirma Columbia oder als Hubschrauberpilot Ölbohrinseln im Golf von Mexiko anflog. Immer wieder hat Johnny Cash die Geschichte erzählt, wie Kristofferson mit dem Hubschrauber in seinem Garten gelandet sei, in der einen Hand eine Flasche Bier, in der anderen eine Bandaufnahme, die Cash unbedingt hören sollte.

Cash wäre kürzlich 75 geworden, sagt Kristofferson heute und widmet ihm den Song „Johnny Lobo“, die traurige Ballade vom Indianeraktivisten John Trudell, der aus Vietnam nach Wounded Knee zurückkehrt, eine Flagge verbrennt und dafür mit der Ermordung seiner Familie bestraft wird. Aus seiner politischen Überzeugung macht Kristofferson auch heute kein Hehl. Und singt gegen den Krieg. Im Irak und überall. „Don’t let the bastards get you down. Tell the truth and stand the ground.“

Wenn er dann, überwältigt von der enthusiastischen Publikumsreaktion, einen Moment dasteht und sagt „You’re a beautiful audience“, und dann, ganz leise, fast unhörbar, zu sich selbst: „Beautiful!“, nimmt man ihm die Rührung sofort ab. Kristofferson singt „Darby’s Castle“, „Me And Bobby McGee“, „Help Me Make It Through The Night“, „Casey’s Last Ride“, „Sunday Morning Coming Down“ und all die anderen bittersüßen Songs über das Leben, die Liebe, Tod und Teufel. Songs, die von so vielen, vermeintlich besseren Sängern hundertfach gecovert wurden, die aber keiner so gut interpretieren kann wie Kristofferson selbst mit seinem begrenzten Stimmumfang, in dem so viel Wärme spürbar ist.

Und Kristofferson grinst sein Kristofferson-Grinsen, dasselbe freundliche und ein bisschen in sich gekehrte Jungs-Grinsen wie Billy The Kid, der Outlaw, den er 1973 im Sam-Peckinpah-Western „Pat Garret jagt Billy The Kid“ gespielt hat. In „The Final Attraction“, der Tributhymne aus „This Old Road“, erinnert er noch einmal an all die alten, toten Helden: Hank Williams, Janis Joplin, Waylon Jennings, John Lennon, Roger Miller, Jimi Hendrix, Mickey Newbury: „So pick up that guitar / Go break a heart.“ Menschen sterben, Songs nicht. Dem Nashville-Rebellen Kristofferson gelingt es in diesen zwei Stunden, die Herzen seiner Hörer zu berühren. „The going up was worth the coming down.“ Ein großer Abend.

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