zum Hauptinhalt

Kultur: Hinter der geschlossenen Tür

Nora Gomringer bedichtet Monster.

Fabulierend reist sie um die Welt. In ihren „Textbehältern“ fängt die 1980 geborene Nora Gomringer die „Bilder hinter den Dingen“ ein, entwirft Sinnbilder menschlicher Abgründe und Ängste. Sie zelebriert kein Sprachspiel um der Formen willen, wie man es womöglich von der Tochter des Urahnen der konkreten Poesie Eugen Gomringer erwarten würde. Aber das väterliche Erbe hat sie von Gedankentragik befreit. Da tanzen uralte und neue Teufel zu Michael Jacksons „Thriller“, und schaudernd gerät der Leser in den Sog des Unheimlichen.

Nora Gomringers fünfter Gedichtband bannt sie alle: Vampir und Werwolf, Godzilla und King Kong, den irren Duschkabinen-Mörder Norman Bates aus Hitchcocks „Psycho“, Josef Fritzl und den Weißen Hai. Der Grafiker Reimar Limmer hat Wort-Bilder aus den Versen ins Visuelle übertragen. Seine Collagen korrespondieren mit den Texten und verstärken deren Magie. Der Horror kommt als leichtfüßiger Spaß, als Rätsel und mörderischer Hauch. Oder er poltert, dass einem die Ohren dröhnen. Ein Knall, und schon ist der Mensch ein genmanipuliertes Wesen oder begegnet Riesenameisen wie in „Formicula“.

Die Autorin bezieht die Gestalten ihrer Monsterschau aus Literatur, Film, Popkultur, Werbung und Zeitgeschichte. Ihre Verse beschreiben, was ist oder sein könnte. Manchmal verliert ein Opfer seine Identität und wird selbst zum Monster. Nora Gomringer leiht ihre Stimme den Ausgelieferten, Empörten und den Träumenden. Auf der beiliegenden CD hört man sie Rollenspiele inszenieren. Sie flüstert, klingt zärtlich, entschieden, ironisch, unwirsch, höhnisch und schwimmt auf sanften oder heftigen akustischen Wellen. Ironisch spielt sie mit Akzenten. Rumänisch? Aber ja, der älteste Vampir kommt aus den Karpaten. Jeder lyrische Dressurakt ist auf andere Weise spannend.

So grotesk der aus Körperteilen zusammengesetzte „Sohn“ Frankensteins auch erscheint, das größere Monster ist sein Schöpfer. Besonders monströs erscheint ihr auch der Familienalltag. Wiederholen sich Mängel und Fehler im sozialen Miteinander nicht in unendlichen tragikomischen Verwandlungen? Gomringer holt die Monster aus dem Keller des Unbewussten ans Licht. Dorothea von Törne

Nora Gomringer: Monster Poems.

Mit Illustrationen von Reimar Limmer und Audio-CD. Voland & Quist, Leipzig 2013.

64 Seiten, 17,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false