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Kultur: Hurra, wir leben noch!

Die Berliner Rundfunkorchester und -chöre feiern ihr zehnjähriges Jubiläum. Eine Hörprobe

Es ist wie im Rettungsboot: Der Platz ist zu eng, aber jeder weiß, dass rt nicht aussteigen wird. Vor zehn Jahren wurde die Rundfunkorchester und chöre GmbH (ROC) gegründet. Lange machte die Notgemeinschaft nur durch interne Querelen von sich reden, doch seit einiger Zeit versucht man, das gemeinsame Profil zu stärken. Zum Jubiläum sollte jetzt ein kleines Festival zeigen, dass die vier ROC-Ensembles auch gemeinsam stark sind.

Berliner Rundfunkchor und RIAS Kammerchor bevölkern am Sonnabendabend vereint das Konzerthaus, lassen die vox humana von Bühne, Empore und sogar mitten aus dem Publikum erschallen. Aber nicht geballte Lautstärke, sondern feinste Sangeskunst, zartestes Piano und orchestrale Farbigkeit machen aus dem Konzert unter der Leitung von Simon Halsey und Daniel Reuss ein Gipfeltreffen der Sangeskunst. Immer wieder gewahrt man umherschwirrende Obertöne, ohne sie verorten zu können. War da nicht ein Geigenvibrato? Der Klang changiert lustvoll zwischen Reiz und Sinnestäuschung.

Getäuscht wurde allerdings auch, wer vom „Meereswunder“, einem Auftragswerk von Hans Schanderl, moderne Klänge erwartet. Was da quadrofon von allen Seiten tönt, sind leere Quinten, die Reminiszenzen mittelalterlicher Musik dekorativ, aber ohne Pointe benutzen. Allmählich verdichtet sich der Klang immerhin zu delikaten Clustern, Stimmennetze weben sich wie von selbst durch den Raum. Erst der dritte Teil, vierchörig gesetzt, entwickelt harmonisches Eigenleben ohne Klischee.

Die „Nachklänge“ von Robert Heppener sind von anderer Art: Eine sensible Celan- Vertonung, die die Sprache des Dichters zu Lauten gerinnen lässt, ohne sie zu vereinnahmen. Aus Silben gewinnt Heppner das Material für sensible Geräuschtexturen.

Zwei links, zwei rechts – so strickt Großmutter Socken, Konzertprogramme gelingen nach dieser Methode nicht so gut. Die Wechselbäder, die das Publikum im Kammermusiksaal der Philharmonie am Sonntag zu durchschreiten hatte, boten keine Gelegenheit, sich auf Musik einzulassen. Da ertönt ein Stück im Avandgardestil, gefolgt von einer süßlichen Paraphrase alter Musik. Kaum hat man sich ein wenig eingehört, geht das Spiel von vorne los, ratlos verlässt das Publikum am Ende den Saal.

Dabei hätten einige der Stücke durchaus Aufmerksamkeit verdient, und das Kammerensemble aus Mitgliedern des Deutschen Symphonie-Orchesters und Rundfunk Sinfonieorchesters unter der Leitung von Johannes Kalitzke schlug sich redlich, engagiert und mit spielerischer Präzision.

Fünf allesamt sehr junge Komponisten und Komponistinnen, meist noch in der Ausbildung, erhielten einen Kompositionsauftrag. Soo Jung Shins „Verkleidet“ wendet ein Fugenthema Bachs in ritualartige, an Scelsi erinnernde Klanggesten, die im Schlusssatz plötzlich ungeahnte Hitze versprühen. Ulrich Alexander Kreppeins „Verwandlungen im Spiegel“ spielt mit Figuren und Läufen, die stellenweise einen intensiven Sog, regelrechte Farbstürze evozieren. Schön gelingt ihm auch der pointierte Schluss. Erik Janson stellt mit „Coeur de l’éternelle“ ein struktural dichtes Stück vor. Dazwischen gibt es dann vier mal Bach, Schumann und Strauß in wenig originellen Paraphrasen von Marcus Maria Reißenberger und dazu ein Konzertmotto: „Zeitenwandel - Zeitensprung“. Als erhellende Gegenüberstellung von historischer Zeit (in Form alter Musik) und gestalteter Zeit (in Form alter und neuer Musik) war das Konzert gedacht. Hat leider nicht so ganz geklappt.

Konkurrenz, weiß jeder Ökonom, führt unweigerlich zu Spezialisierung. In der Kultur ist das nicht anders als in der freien Wirtschaft: Im Kampf um die immer knapper werdenden Subventionen besinnt sich jeder auf das, was er am besten kann. Erst recht, wenn es, wie beim Abschlusskonzert des ROC-Festivals zum zehnjährigen Bestehen der Musikholding am Sonntagabend in der Philharmonie gilt, kaum Zeit zu haben.

Jeweils nur fünfzehn Minuten stehen RIAS-Kammerchor, Rundfunkchor und Deutsches Symphonie-Orchester zur Verfügung, um in der ersten Programmhälfte ihre kulturelle Unverzichtbarkeit für Berlin und die Republik zu beweisen – kein Wunder, dass zumindest die an diesem Wochenende viel beanspruchten Chöre auf zwei Paradestücke ihres Repertoires zurückgreifen: Der Rias-Kammerchor auf Bachs extrem knifflige Motette „Singt dem Herrn ein neues Lied“ und der Rundfunkchor auf Schönbergs kaum weniger schwieriges „Friede auf Erden“.

Eine kluge Wahl, denn beide Aufführungen zeigen die Ensembles in bestem Licht: Unter seinem ehemaligen Leiter Marcus Creed hatte sich der RIAS-Chor ein weltweites Prestige vor allem im barocken Repertoire erarbeitet, unter Reuss kommt zur Virtuosität die Vitalität: Das filigrane Netz der Stimmen beginnt zu schwingen, die expressive Aufladung des Textes rückt wieder mehr in den Vordergrund.

Dennoch ist der RIAS-Chor Klangwelten vom etwa doppelt so großen Rundfunkchor entfernt, der mit seinem Leiter Simon Halsey die Tradition des romantisch weichen, in orchestralen Klangfarben schwelgenden Chorklangs vorführt.

Auch Kent Nagano und sein DSO haben sich auf die traditionelle Stärke des Rundfunkorchesters besonnen: die Aufführung zeitgenössischer Musik. Und Jörg Widmanns „Chor“, hier uraufgeführt, braucht in seiner messerscharf balancierten Klangökonomie die Präzision eines Spitzenorchesters: Ein Musikstück seismografscher Wechselwirkungen, das seine Energien in genau kalkulierten Reibungen verschiedener Klangschichten freisetzt.

Kennzeichnend vielleicht, dass die anschließende Gemeinschaftsarbeit der drei Spitzenensembles nicht auf dem gleichen Niveau bleibt. Nagano dirigiert Orffs „Carmina Burana“ aus dem Geist von John Adams: A long ride in a fast machine. Das ist zwar wohltuend weit von bajuwarischer Gemütlichkeit entfernt, die Chöre aber bleiben bei seinen teilweise aberwitzigen Tempozuspitzungen beinahe auf der Strecke. Und das Rettungsboot kommt ein bisschen ins Schlingern. Ulrich Pollmann/ Jörg Königsdorf

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