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Kultur: Ich bin ein Naturbursche

Der Schauspieler Heinz Bennent über Andersen, Schiller und Tschechow

Herr Bennent, Ihr Soloabend „Ich bin der Mann meiner Frau“, mit dem Sie am Berliner RenaissanceTheater gastieren, ist ein Abend des Alters, des Abschieds. Wie viel ist da noch Tschechow, wie viel Heinz Bennent?

Die Basis sind zwei Tschechow-Stücke, die ich mit privaten Texten verquickt habe. Ich spiele einen alten, gar nicht selbstbewussten Mann, der abhängig ist von seiner Frau. Wenn jemand fragt: Wer ist das?, sage ich immer: Das bin ich.

Wie viel improvisieren Sie dabei? Man hat den Eindruck, dass der Text oft variiert.

Es gibt natürlich gewisse Grundvereinbarungen. Dass der Vorhang irgendwann aufgeht und dann wieder zu. Aber wo ich an welchem Moment des Abends stehe, ob hinter meinem Pult oder auf einem Stuhl, das weiß ich nicht. Ich habe nie in meinem Leben mechanisch dieselben Gesten gemacht. Ich kenne hervorragende Schauspieler, die machen jeden Abend dasselbe. Das ist nicht mein Fall: Ich stehe auf der Bühne und weiß noch nicht einmal, ob ich das überlebe.

Die Möglichkeit der Improvisation ist der Unterschied zum Film. Sie haben beides gemacht, Film und Theater ...

Ich mache im Film genau das Gleiche wie im Theater. Ich hasse es, wenn die Kamera bedient werden muss. Als ich mit Ingmar Bergman gearbeitet habe, hat er mir gesagt: „Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, dass du dir eine günstige Position zur Kamera suchst, höre ich sofort auf. Die Kamera gibt es nicht für dich.“ Das ist ein idealer Regisseur, der weiß, dass es auf den Menschen ankommt, nicht auf die Kamera.

In den letzten Jahren schien es, als hätten Sie sich aus dem Theaterbetrieb etwas zurückgezogen: mehr eigene Produktionen und Tourneen als feste Engagements.

Ich bin gegen das subventionierte Theater. Es befördert Mittelmäßigkeit. Wenn ich heute Theater beobachte, sind das meistens Cliquen, ein Regisseur, der mit seinen Schauspielern arbeitet und sie mitnimmt, wenn er weggeht. Das Theater organisiert sich von den Regisseuren her. Die Schauspieler werden ausgewechselt. Aber das Theater lebt vom Menschen. Weder Beleuchtung noch Bühnenbild können daran etwas ändern. Aber ein Mensch, der wie ein Mensch spricht und sich bewegt, der berührt mich.

Sie spielen Ihren Tschechow-Abend bewusst ohne Regisseur. Ist das ein Statement gegen die Regie als solche?

Es gibt ganz wunderbare Regisseure. Ein Beispiel: Ich hatte mein Leben lang Schwierigkeiten mit meinen Händen. Ich bin katholisch erzogen worden, in einem Dorf, und wir hatten mit den Händen unkeusche Dinge getrieben. Da hat ein Lehrer gesagt: „Wenn man das tut, ist das irreparabel für das Nervensystem.“ Aber als ich Hans Christian Andersen spielte, in dem Film „Aus dem Leben der Marionetten“, hat Bergman mir gesagt: „Weißt du, was wunderbar an dir ist? Deine Hände.“ Seitdem bekam ich Freude an der Bewegung meiner Hände. Wenn man solche Hilfen bekommt, hat man Glück.

Was Sie von Ihrer Kindheit erzählt haben, passt gut zu Hans Christian Andersen, der sein Leben lang mit seiner Herkunft, auch mit seiner Sexualität gekämpft hat. War Ihnen diese Figur deshalb besonders nah?

Andersen war eine extreme Figur. Ich bin eher ein Naturbursche. Wenn ich Glück habe, finde ich Texte, an die ich glaube. Und dann wird auch aus einem einfachen Dorfjungen ein Schauspieler. Aber Andersen hat Tragödien geschrieben. Das hat man nie anerkannt, alle wollten nur seine Märchen lesen. Er war eigentlich ein unglücklicher Mensch.

Wenn wir schon bei Jubiläen sind – Andersens 200. Geburtstag wurde gerade gefeiert: Wie halten Sie es mit Schiller? Ihre erste Rolle war Don Carlos. Warum tut sich unsere Zeit so schwer mit Schiller?

Das ist ganz einfach. Für einen Carlos, einen Posa brauche ich Schauspieler, die sprechen können. Schillerverse haben eine Poesie, einen Rhythmus. Das verlangt eine geistige und physische Kraft. Es ist wie im Ballett: Man muss trainieren.

Peter Brook hat neulich im Tagesspiegel-Interview erzählt, wie unterschiedlich es sei, Becketts „Endspiel“ auf Deutsch, Französisch oder Englisch zu spielen. Sie sind mit dem „Endspiel“, gemeinsam mit Ihrem Sohn David, seit zehn Jahren auf Tournee, eine Ihrer Paraderollen. Kennen Sie diese Unterschiede?

Ich habe das „Endspiel“ erst auf Französisch gespielt, dann auf Deutsch, und es ist ein anderes Stück. Im Französischen ist es viel leichter, mehr vom Wort her gedacht. Im Deutschen bekommt es eine Tiefe, eine seelische Beziehung. Das „Endspiel“ könnte ich bis an mein Lebensende spielen. Da ist sehr viel Weichheit drin, ungeheure Intelligenz und Religiösität. Es ist wohl das Stück meines Lebens.

Das Gespräch führte Christina Tilmann.

Er ist der Clown, der

Außenseiter im deutschen Theater. Heinz Bennent, geboren 1921 in Stolberg bei Aachen, begann seine Schauspielkarriere 1947 mit Schillers „Don Carlos“ in Karlsruhe. Später war er in Bochum, Basel, Bonn und München tätig. Er arbeitete mit Bergman, Truffaut, Schlöndorff und Zadek zusammen. Wichtige Filmrollen spielte er in François Truffauts „Die letzte Metro“ , Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und „Die Blechtrommel“ sowie mit

seiner Tochter Anne in Benoît Jacquots „Marie und Freud“. Im Theater war er der Narr in Dieter Dorns „King Lear“ und mit seinem Sohn David in Becketts „Endspiel“ . Noch bis Sonntag

gastiert er mit einem Tschechow-Abend

im Berliner

Renaissance-Theater.

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