Natürlich klingt der Opernsänger durch, wenn ein Verdi-Tenor sich auf einen Liederabend einlässt. Die übervolle Staatsoper, bis zu Podium-, pardon: Bühnenplätzen besetzt, seit Monaten ausverkauft, summt in Erwartung des Besonderen: Rolando Villazón, Superstar des italienischen und französischen Fachs, im belkantistischen Doppelpack mit Anna Netrebko als „Traumpaar der Oper“ auf der Bestsellerliste ganz oben, lädt zu Robert Schumanns „Dichterliebe“. Eine Kühnheit. Vor den Anfang des Konzerts jedoch, eines Konzerts, das man einfach nicht absagen kann, haben die Götter des Frühlingswinters eine Ansage gesetzt: Der Sänger ist erkältet, bittet um Verständnis für das stimmliche Defizit. Aber es zeigt sich auch bei dem Liedsänger Villazón, dass ein Interpret von seinem Rang mehr ist als Stimme.
In Daniel Barenboim am Klavier hat er einen Schumannkenner, auf den er bauen kann. Und staunenswert ordnet sich der sieggewohnte Sänger dem versonnen grüblerischen Grundton der „Dichterliebe“ unter. Nachdenklicher Fall: Der Zyklus auf 16 Gedichte von Heine stammt aus dem Jahr der Hochzeit Schumanns mit Clara! Und er handelt von Angst und Verzweiflung „im wunderschönen Monat Mai“, selbst wo Ironie zwinkert. In diesem Sinn sieht Villazón die „Perlentränentröpfchen“ als flüchtiges Bild in traurigen Träumen. Was die deutsche Sprache angeht, so mögen ein paar zu helle oder zu kurze Vokale noch revidiert werden. Wichtiger erscheint, dass die Lyrik aufs Wort zu verstehen ist und Villazón sie gestaltet: Die Vision der verlorenen Liebe, die da wispert: „Ich liebe dich!“, das leise Liedchen vom „übergroßen Weh“, das Barenboim nachklingen lässt. Wo der Einsatz der Opernstimme am Platz ist, um das Drama „Ich grolle nicht“ zu steigern, soll sie ihre Wunder zeigen.
Ab und zu kann der Sänger nicht umhin zu husten, und es bleibt zu hoffen, dass ihm die mutige Anstregung nicht geschadet hat. Weiter gehen die Trauerharmonien bei André Duparc, gefolgt von den Liebesträumen Petrarcas in der Vertonung von Liszt, aus denen der Komponist später Pianistenträume für Romantiker wie Barenboim gemacht hat. Ein Abend, den man nicht missen möchte. Das Publikum ehrt Villazón mit ostinatem Applaus, der nicht aufhören will. Obwohl jeder weiß, dass die Stimme keine Zugabe mehr erlaubt.
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