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Kultur: Im Freizeithabit

Der Münchner K.G.

Der Münchner K.G.Saur Verlag ist im Lauf der fünfzig Jahre, die er nun im Rahmen des 89.Deutschen Bibliothekstages feierte, allen Bibliothekaren, Bibliographen und Buchhändlern lieb und teuer geworden.Das Verzeichnis lieferbarer Bücher, der 360bändige Katalog der British Library, das Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (150 000 Seiten) oder die eben vollendete Deutsche Biographische Enzyklopädie sind zwar verdienstvolle Editionen, aber nicht eben zum Lesen gedacht, und so lud Verlagschef Klaus G.Saur für den Festempfang im Freiburger Konzerthaus einen veritablen Schriftsteller ein.Martin Walser kam sich als "Teil eines Jubiläumsprogramms" sichtlich deplaziert vor, nur zögernd trat er nach Saurs launiger Firmenbilanz hinter dem Vorhang hervor.Das ist normal.Nicht normal ist freilich, daß einer der größten deutschen Schriftsteller nur noch unter Polizeischutz lesen kann.Auch in Freiburg hatte sich ein Häuflein von Demonstranten versammelt, das mit Trillerpfeifen und Transparenten ("Deutschland denken heißt Auschwitz denken") gegen Walsers Begriff von "deutscher Normalität" protestierte, friedlich übrigens.Die Wogen der Auseinandersetzung mit Ignatz Bubis, der dem Wegschauer einst "geistige Brandstiftung" vorgeworfen hatte, sind immer noch nicht geglättet.Walser ging mit keinem Wort darauf ein; er schien nur in seinem Text anwesend.Denn wenn er zu lesen beginnt, verwandelt sich der Mann im Freizeithabit in einen Redner, der heftig mit den Händen gestikuliert, in einen Prediger, der in vorwärtsdrängendem priesterlichen Singsang Litaneien, Beichtspiegel und Rosenkränze intoniert.Das lag natürlich auch an den Passagen, die er aus seinem "Springenden Brunnen" ausgewählt hatte: Der Bericht von Johannes erster Liebe, Beichte und Kommunion zieht alle Register auf der Orgel einer katholisch-ländlichen Kindheit und gipfelt in pubertärer Selbstbefleckung.Schon daß der Bub mit der Tangomähne Anita, das Zirkusmädchen mit den Simpelfransen, in aller Unschuld, Hoch- und Demut liebt, war 1938, ohne daß es des Zwiegesprächs mit seinem schwellenden Du noch bedurft hätte, eine "Haupttodsünde".Für manche Kritiker ist es noch heute eine: Wie kann man nur in einem halbautobiographischen Roman über eine Jugend im Dritten Reich Auschwitz verschweigen? Aber der idyllisch-familiäre Kokon, in den Walser seine Erinnerungen einspinnt, ist nun einmal sein Kosmos; politisch korrekte Abstraktionen liegen ihm fern.

MARTIN HALTER

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