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Im Hallraum Gottes: Zum Tod der Komponistin Sofia Gubaidulina
Die russisch-tatarische Komponistin, die in den letzten vier Jahrzehnten in Schleswig-Holstein lebte, war eine der profilitiertesten Stimmen der zeitgenössischen Musik. Jetzt ist sie im Alter von 93 Jahren gestorben.
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Es gibt nicht viele Gründe, an Gott zu glauben, aber die Musik von Sofia Gubaidulina war einer davon. Mit ihren Werken vermochte sie noch die unwilligste atheistische Seele zu öffnen, und das weniger mit orchestraler Überwältigungsmasse, die Gubaidulina durchaus auch aufzubieten wusste, sondern mit präziser Motivarbeit, die in kammermusikalischen Zusammenhängen vielleicht am sinnfälligsten wurde.
Zu ihren meistgespielten Kompositionen gehört das für Cello und Orgel geschriebene „In croce“, das in der Version für Bayan, das Knopfakkordeon ihrer tatarischen Heimat, in der Art, wie sich die Linien aus entgegengesetzten Registern aufeinander zubewegen, um sich schließlich zu durchkreuzen, eine Symbolhaftigkeit entfaltet, die viele ihrer Stücke prägt.
Ratschläge von Schostakowitsch
Sofia Gubaidulina, am 24. Oktober 1931 in Tschistopol am linken Ufer der Kama geboren, war die Tochter eines tatarischen Vaters und einer russischen Mutter. Die Eltern förderten schon das Kind, das sich auch vom geheimnisvollen Innenleben des heimischen Flügels verzaubern ließ, mit Klavierunterricht. Von Sofias kompositorischem, von Anfang an spirituell aufgeladenen Ehrgeiz, den sie an Werken von Bach, Mozart und Beethoven schulte, wollten sie indes nicht viel wissen.
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In der Hauptstadt Kasan besuchte Gubaidulina ab 1946 die Musikakademie, wo sie bei Albert Leman, der in seiner Arbeit auch tatarische Elemente aufgriff, Komposition studierte. 1954 wechselte sie nach Moskau, wo sie zunächst bei Nikolai Peiko, einem Assistenten von Dmitri Schostakowitsch, in die Lehre ging. Als Vorsitzender der Prüfungskommission bestärkte Schostakowitsch die Absolventin 1962, dem eigenen Weg gegen alle Kritik zu folgen.
Unter der sowjetischen Käseglocke war dieser Weg doppelt weit. Die Komponisten ihrer Generation hatte die Innovationen der zweiten Wiener Schule erst mit Verspätung kennengelernt. Und wenn Gubaidulina – wie Alfred Schnittke – nicht bei Philip Herschkowitz, einem Schüler von Alban Berg und Anton Webern, Privatunterricht genommen hätte, wären ihr Zwölftontechniken weiterhin verschlossen geblieben.
Mischung aus Isolation und Neugier
Die Mischung aus Isolation und Neugier bewahrte sie aber auch vor Dogmatismus. Sofia Gubaidulina war immer eine Polystilistin. Das Tonale und das Atonale, das akkurat Notierte und das mit bloßen Farbstrichen Skizzierte, das Folkloristische und das Klassische, verschmolzen bei ihr. Und die Vertonung von Gennadi Ajgis verschwiegener Lyrik lag ihr so sehr am Herzen wie die von Christian Morgensterns „Galgenliedern“.
In einem viel zitierten Bekenntnis erklärte sie: „Als Ideal betrachte ich ein Verhältnis zur Tradition und zu neuen Kompositionstechniken, bei dem der Künstler alle Mittel – sowohl neue als auch traditionelle – beherrscht, aber so, als schenke er weder dem einen, noch dem anderen Beachtung. Es gibt Komponisten, die ihre Werke sehr bewusst bauen, ich zähle mich dagegen zu denen, die ihre Werke eher züchten.“
Während sie sich als freie Komponistin in Russland mit filmischen Auftragsarbeiten über Wasser hielt und immer wieder Attacken offizieller Kreise, ja sogar physische Angriffe erdulden musste, wuchs ihr Ruf im Westen. Zum Botschafter ihrer Musik wurde Gidon Kremer, dem sie 1981 auch ihr erstes Violinkonzert „Offertorium“ mit Motiven aus Bachs „Musikalischem Opfer“ widmete. 1986 dufte sie zum ersten Mal in den Westen ausreisen und war bei der Uraufführung ihrer Symphonie „Stimmen … verstummen …“ bei den Berliner Festwochen zu Gast.
Anschließend ließ sie sich in Appen bei Pinneberg nieder. In den letzten Jahren setzte sich vor allem Andris Nelsons für sie ein. Mit dem Leipziger Gewandhausorchester spielte er unter anderem ihr Spätwerk „Der Zorn Gottes“ ein. Am Donnerstag ist Sofia Gubaidulina im Alter von 93 Jahren den Folgen einer Krebserkrankung erlegen.
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