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Kultur: Im Lichte des Barock

Die Tiefe der Bühne ist spärlich beleuchtet.Lichterbäume in den Gassen zwischen den Kulissen erhellen notdürftig die perspektivische Hintergrundsmalerei, die mal das Meer mit weitem Horizont, mal die Säulenfront eines antiken Tempels, mal das Innere eines prachtvollen Palastes zeigt.

Die Tiefe der Bühne ist spärlich beleuchtet.Lichterbäume in den Gassen zwischen den Kulissen erhellen notdürftig die perspektivische Hintergrundsmalerei, die mal das Meer mit weitem Horizont, mal die Säulenfront eines antiken Tempels, mal das Innere eines prachtvollen Palastes zeigt.Ihr Licht bekommen die im gräzisierenden Stil der Goethe-Zeit gewandeten Heldinnen und Helden nicht von den beiden Kronleuchtern, die über ihren Köpfen zwischen gemalten Wolkenteilen und Baumkronen hängen, sondern von der Fußrampe.Einst waren dort Öllampen hinter Blenden an der äußersten Bühnenkante aufgereiht.Wenn man die Planke herunterfuhr, auf der sie montiert waren, wurde es Nacht auf der Szene.Heute imitieren aus feuerpolizeilichen Gründen schwache Scheinwerfer deren Schein.Am hellen Stoff des klassizistisch drapierten Griechenkostüms wandert er empor.Je höher er kommt, desto geringer wird die Intensität.Eingewebte Silberfäden und Pailletten werfen in Taillenhöhe noch einmal funkelnde Blitze.Kinn, Wangen und Stirn erhaschen schließlich einen letzten Abglanz und verwandeln Augenhöhlen und Haaransatz, die tiefer gelegenen Gesichtspartien, in dramatische Schattenlandschaften.Jedes Wimperzucken wird hier zur großen Geste.Das Pathos des Barocktheaters verdankt sich nicht unwesentlich diesem künstlichen Licht.

"Wir wollen hier bühnentechnisch alles so machen, wie es früher war," erläutert Bettina Buchwald das Konzept des kleinen Ekhof-Festivals im thüringischen Residenzstädtchen Gotha.Und tatsächlich fahren in Georg Anton Bendas "Medea" auf ein im Zuschauerraum deutlich vernehmbares Klingelzeichen bei offenem Vorhang barocke Palastkulissen auf beiden Seiten synchron herein, während sich gleichzeitig die Bäume des heiligen Hains entfernen und an der Rückwand und über der Bühne eine neue Prospektmalerei und neue Soffitten aus dem Schnürboden herabgelassen werden.Auf dem Bühnenboden erkennt man Rillen.Darunter befinden sich jene flachen Wagen, in die die wechselnden Kulissen eingesteckt werden.Noch heute bedienen wie im 17.Jahrhundert sechs Bühnenarbeiter hinter und unter der Bühne die Drehwinden, über die an Seilen die Kulissen wie von unsichtbarer Hand unterirdisch bewegt werden.Im Westturm von Schloß Friedensstein hat sich bis heute jenes in Gold und Weiß strahlende Theater samt barocker Schnellverwandlungsmaschinerie erhalten, das Friedrich I., theatervernarrter Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg 1681, dort einbauen ließ und seither bis ins frühe 19.Jahrhundert laufend ausgebessert wurde.1996 wurde sie wieder funktionstüchtig gemacht.Die Originalkulissen allerdings sind bis auf zwei Innenräume aus dem späten 18.Jahrhundert verloren und müssen nachgeschaffen werden.Ebenso die meisten Apparaturen für Spezialeffekte.Friedrichs Nachfolger ließ die baufälligen Teile 1755 entfernen.Fliegende Götter in Gondeln und andere phantastisch-mythologisch ausstaffierten Wagen zu Wasser und zu Lande waren zur Zeit Voltaires und Lessings nicht mehr Mode.Doch auch diese Flugwerke sollen im nächsten Jahr wieder hergestellt werden, so daß Medea künftig ihre Flüche nicht mehr aus dem zweiten Rang auf Jason herunterschleudern muß, sondern in einem Drachenwagen hoch über seinen Häupten davonschwebt.

1775 erlebte das Hoftheater seine zweite Blüte.Die Truppe um den in ganz Deutschland gefeierten Theaterreformer und Schauspieler Conrad Ekhof wurde aus dem benachbarten Weimar, wo das Schloß ausgebrannt war, nach Gotha gerufen und dort als erstes Ensemble überhaupt ganzjährig aus der herzoglichen Privatschatulle subventioniert.Da in dieser Zeit auch die Kasseneinnahmen einen ansehnlichen Posten im Theater-Budget ausmachten, baute man dicht unter der nachtblauen Kassettendecke einen zweiten Rang für zahlende Besucher in den kleinen Zuschauerraum ein.Vor allem aber brachte Ekhof aus der Nachbarresidenz die Keime der Weimarer Klassik mit.Christoph Martin Wieland war am Musenhof Anna Amalias der erste, der dem Realismus des Sturm und Drang eine idealisierende Kunst entgegenstellen wollte und dabei auf antike Stoffe und die Form der Oper zurückgriff.In Weimar ging die Saat in Goethes "Iphigenie" auf.In Gotha schufen der Hofkapellmeister Georg Anton Benda und der Theaterkapellmeister Anton Schweitzer antikisierende Melo-, Duo-, Monodramen und andere einst enorm erfolgreiche Zwittergattungen, in denen die musikalischen Einwürfe zwischen den deklamierten Passagen Gelegenheit zum pantomimischen Spiel mit malerischen Stellungen und edlen Gebärden gab.Aus diesem genuin gothaischen Repertoire schöpfen die Ekhof-Festspiele in ihren Eigenproduktionen.Die hundert Jahre älteren Barockpartituren sind verloren.Aber wären sie es nicht, könnte man sich deren Aufwand ohnehin nicht leisten.

Seit 1996 finden rund um Conrad Ekhofs Geburtstag am 12.August jeden Sommer an den Juli- und August-Wochenenden rund 20 Opern- und Konzertaufführungen statt.Die meisten von ihnen werden von kleineren Kompagnien eingekauft.Eigenproduktionen mit dem Landessinfonieorchester Thüringen-Gotha unter Hermann Breuer, wie in diesem Jahr der auf das Gothaer Schloßtheater zugeschnittenen Doppelabend mit Anton Schweitzers lyrischem Monodrama "Polyxena" und Georg Anton Bendas Melodram "Medea", beide aus dem Jahr 1775, machen aber das besondere Profil dieses Festivals aus.Der eigentliche Reiz besteht im Versuch einer Annäherung an den klassizistischen Darstellungsstil der Goethe-Zeit, der über das Bühnentechnische hinausgeht und auch die Rhetorik der Körper- und Gebärdensprache einbezieht, wie sie in zeitgenössischen Lehrschriften, Stichen und Gemälden dokumentiert ist.Daß dies nur ein erster Schritt sein kann, wird bald deutlich.Mit der exakten Nachahmung der äußeren Erscheinungsformen kommen Margot Stejskal (Polyxena) und Helga Ziaja (Medea) dem Geist, der das theatralische Gesamtkunstwerk für die Zeitgenossen so atemberaubend gemacht haben muß, doch erst sehr tastend nahe.Aber immerhin: ein Anfang ist gemacht.In kontinuierlicher theoretischer und praktischer Beschäftigung könnte sich daraus so etwas wie eine historische Aufführungspraxis der Szene entwickeln, die uns das Ineinandergreifen der Künste des Theaters in historischen Bühnenwerken dereinst vielleicht einmal auch sinnlich vor Augen und Ohren zu führen vermöchte.

Das Ekhof-Festival findet noch bis zum 30.August statt.Information unter Tel.: 03621 / 222138

BORIS KEHRMANN

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